DER STIL DER MINIATUREN UND DIE KÜNSTLER
Münchner serbische Psalter

von Svetozar Radojčić

Den Münchner serbischen Psalter malten Künstler, die zeitgenössischen Strömungen der byzantinischen Kunst des späten 14. Jahrhunderts angehörten. Ihre ziemlich modische Malerei lebte im Milieu jenes ehrgeizigen Hochadels, der seine vergängliche Macht auf den Ruinen des Reiches von Zar Stefan Dušan errichtete. Die im Auftrag der Familien Mrnjavčević, Lazarević und Branković entstandene Kunst ist unterschiedlich gut überliefert. Von den frühen Psaltern, die für angesehene Adlige des Zarenreiches geschrieben wurden, ist des Textes wegen der Psalter des Branko Mladenović von 1346 erwähnenswert .
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Psalter des Branko Mladenović von 1346

Cfr. Erzeigt auf fol. 1 v. und fol. 4 v. ungeschickte Architekturzeichnungen, von denen die erste als Tempel der Weisheit (hram premoudrosti) gekennzeichnet ist . Seinem Aussehen nach kann der Psalter des Branko Mladenović auf keinen Fall mit Sb verglichen werden. Die von den Erben der Nemanjiden geförderte Kunst hatte keine eigenen Traditionen. Als ihre leitende Idee, besonders in der Monumentalmalerei, trat immer mehr der Wunsch hervor, die Übereinstimmung zwischen dem himmlischen und dem irdischen Hof zu unterstreichen. Solche Gedanken schufen eine stets ähnliche Ikonographie, die gleichwohl von den Malern unterschiedlich realisiert wurde. Cfr. Mit den neuen Ambitionen wurde die Anschauung des Hoflebens auf den Himmel und auf Szenen des Alten Testaments sowie auf Ereignisse der Antike übertragen. Alle sind in die Gewänder der Herrscher und Adligen aus der Zeit um 1400 gekleidet, sowohl Christus und die Gottesmutter als auch David und seine Nachkommen, sowohl die Helden der Ilias als auch die historischen Persönlichkeiten aus der Zeit Alexanders des Großen. Die neu eingekleidete Welt der byzantinischen Ikonographie des späten 14. Jahrhunderts gab der Malerei die Illusion der Neuheit, selbst wenn ihre Inspirationen aus den alten apokryphen Texten und den Homilien des Johannes Chrysostomos entliehen waren. Diese betonte Modernität der Kleidung herrscht auch in den Miniaturen des Sb. Stoffe, Gewandschnitt, Insignien, Gürtel, Hüte, Rüstungen, Zaumzeug, Waffen - alles nähert sich der höfischen Wirklichkeit, die in den Miniaturen freilich noch ästhetisch überhöht worden ist.

Die Anschauung der antiken Welt in der mittelalterlichen Malerei Serbiens änderte sich unvermittelt und verlor sich - ähnlich wie in Byzanz - gegen Ende des 14. Jahrhunderts fast ganz. In Morava-Serbien lebten unabhängig voneinander zwei Konzeptionen von Antike: Eine populäre, romantische Pseudoantike des Ritterlichen, die über das adriatische Küstenland aus dem Westen kam, und eine andere, leicht antiquarische Antike der Gebildeten, die in den Werken der führenden Schriftsteller und auf den Bildern der Maler höherer künstlerischer Kultur zu bemerken ist. Die Beziehung der Künstler des Sb zur Antike ist bereits ziemlich verblichen. In den schönsten Miniaturen ist der Klassizisimus in der Bildstruktur noch immer erhalten geblieben. Die Personifikationen aber, Zeichen einer schon unsicheren Gelehrsamkeit, erinnern an die verwaschenen Reminiszenzen und verdorbenen Zitate im gekünstelten Stil jener Schriftsteller, die als Emigranten serbisch lernten und in der serbischen Literatur unter Fürst Lazar und seinem Sohn Stefan eine wichtige Rolle spielten.Cfr.

Der unsichere Klassizismus der Maler des Sb ist an die byzantinische Kultur gebunden, die bereits mit Bildern übersättigt war und sich in kleinformatigen Zyklen auslebte. Auf den Fresken der engen Räume ihrer Kapellen, auf Ikonen, die selbst wie Galerien kleiner Ikonen wirkten, und auf den Blättern illuminierter Handschriften kleinen Formats waren dort solche Zyklen zusammengedrängt.

Die zahlreichen Illustrationen mittelmäßiger Abschreiber und schwacher Zeichner waren in den Werkstätten, die für serbische Auftraggeber arbeiteten, augenscheinlich recht bekannt, wie sich aus der serbischen Variante des Troja-Romans (in der Nationalbibliothek Sofija) schließen läßt. Im Text dieses Werkes ist auf 51 Folien Platz für mindestens 39 Miniaturen, mit bereits notierten Erklärungen, freigelassen. Zieht man auch noch die zehn völlig leeren Blätter in Betracht, so ergibt sich, daß für jedes Blatt eine Illustration vorgesehen war. Die Sofioter Handschrift der serbischen Redaktion des Troja-Romans wird in das 14. Jahrhundert datiert. Sie entstand zu einer Zeit, als in den Skriptorien kyrillischer MSS Exemplare des illuminierten Romans oder Hefte mit Zeichnungen vorhanden waren. Aus einer solchen Vorlage sind jedenfalls auch die Überschriften der Zeichnungen kopiert. Aus einer einzigen Parallele im serbischen Troja-Roman (fol. 243 v.: »a se Anciles ouby Cilouša viteza«) mit einer Szene aus dem Alexanderroman in Venedig, die den Kampf Philipps mit Anaxarchos zeigt, lassen sich keine allgemeinen Schlüsse ziehen. Die sechs ausgeführten Illustrationen zeigen immerhin zur Genüge die schnelle, unsorgfältige Zeichnung. Einem anderen Illustrationstyp des Ritterromans gehörten die Miniaturen des serbischen Alexanderromans der Nationalbibliothek Belgrad an, der 1941 verbrannte. Große Zeichnungen nahmen die ganze Seite ein, auf ihnen wurden Schlachten, Belagerungen, Festmähler, Musikanten und zahlreiche Porträts der Hauptpersonen des Romans, Kaiser und Prinzessinnen, gezeigt .

Sie tragen prächtige Kleidung, die den Kostümen der Herrscher, Höflinge, Gelehrten und Kirchensänger auf Fresken des späten 14. Jahrhunderts täuschend ähnelt. Cfr. Die Frontalität der Figuren, die pedantische Ausführung der Textilien und die leere Zeichnung der Köpfe auf den Miniaturen der Belgrader Alexandreis gleicht völlig den primitiven Fresken im Narthex der Klosterkirche von Veluće. Die naiven Illustrationen in serbischen Handschriften von Ritterromanen haben keine Verbindung zur Malerei des Sb.
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Münchner serbische Psalter, fol. 78 v. (Sb Nr. 2.43)

Bestimmte Ähnlichkeiten mit Sb gibt es in einigen Szenen des griechischen Alexanderromans in Venedig. Am nächsten stehen sich in beiden Handschriften die Miniaturen von Reiterschlachten (Sb Nr. 2.43, Alexandreis fol. 61 v.). Auf gleiche Weise sind die Landschaftskulissen, die den Horizont des Schlachtfeldes abschließen, gemalt (Sb Nr. 2.91, Alexandreis fol. 166v.). Ähnlich sind die symmetrisch gestellten Gebäude mit Satteldach (Sb. Nr. 2.58, Alexandreis fol. 175). In einigen Fällen sind auch die ikonographischen Schemata für höfische Szenen vergleichbar (Sb. Nr. 2.25, Alexandreis fol. 167). Im Allgemeinen unterscheiden sich die Miniaturen in beiden MSS freilich darin, daß die Szenen im Sb freier gemalt sind und in Einzelheiten der Realität näher stehen. In der Alexandreis wurden die Kompositionen streng geordnet, die Formen fester, die Bewegungen einheitlicher gegeben. Das lebhafte Kolorit der muslimischen Kleidung und die Darstellung muslimischer Bräuche geben den Miniaturen des venezianischen Alexanderromans die exotischen, dekorativen Züge des Orients. Solche Vergleiche des Sb mit byzantinischen und slavischen Miniaturen des späten. Jahrhunderts sind immer allgemeiner Natur und daher von untergeordneter Bedeutung. Der Stil der Miniaturen des Sb läßt sich viel besser mit Fresken und Ikonen verbinden. Das haben die Autoren, die sich mit der künstlerischen Wertung des Sb beschäftigten, bereits ausreichend betont. Strzygowski nahm in seinem Werk über den Sb mehrfach zu dessen Malweise Stellung. Wenn er auch die verschiedenen Künstlerhände nicht unterschied, fühlte er doch sicher den Charakter des Kolorits heraus und beobachtete genau, daß »die Zeichnung ganz hinter einem impressionistischen Farbengemisch zurücktritt«. Denselben Gedanken wiederholte Strzygowski noch an anderen Stellen, wenn er die »auffallend impressionistische Technik«, und »die impressionistische flotte Manier« hervorhob.
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Münchner serbische Psalter, fol. 43 v. (Sb Nr. 2.25)

Fedor Smit betont die ausgesprochene Originalität der Illustrationen des Sb und unterstreicht, daß dieser »sich stark von den übrigen byzantinischen Psaltern unterscheidet«. Hervorragend ist die Charakterisierung der Miniaturen des Sb durch N.P. Kondakov. In seinem Reisebericht aus Makedonien befaßt er sich zweimal des längeren mit Sb. Mit gutem Einfühlungsvermögen weist Kondakov schon 1909 die übertriebenen »Einfluß-Theorien« im Hinblick auf den Sb zurück, nennt sie ironisch »Träume vom Kopieren uralter Codices« und betont - ebenso wie Smit - die Neuheit der Ikonographie von Sb. Die Malerei im Psalter ließe sich mit der Ikonenmalerei in Verbindung bringen (sie »kann ikonenhaft genannt werden«).
Das größte, etwas übertriebene Lob für die Maler des Sb hat zweifellos Kondakov ausgesprochen: »Unserer Ansicht nach trägt der serbische Psalter nicht den Charakter einer Kopie, sondern bildet ein vollkommen eigenständiges Werk mit ikonenhaften Bildern (soveršenno svoeobraznoe ikonopisnoe tvorčestvo), das gänzlich durch das 14. Jahrhundert geprägt ist«. Cfr.

Gabriel Millet, der erste unter den Historikern byzantinischer Kunst, der die Monumentalmalerei des inneren Balkans genauer kannte, hat den geographischen und chronologischen Umkreis, in dem die Miniaturen des Sb entstanden, sicher definiert. Als großer Kenner der Ikonographie des 14. Jahrhunderts konnte Millet auch die künstlerische Kultur der Maler beurteilen, besonders aber auch ihren Ehrgeiz, sich den neu belebten Traditionen des byzantinischen Klassizismus zu nähern. Seine wertvollen Beobachtungen über die Malerei und die Ikonographie des Sb hat Millet am besten in den Schlußkapiteln seiner Forschungen zur Ikonographie der Evangelien zusammengefaßt.

Wie sehr die Diskussion über den Stil der Miniaturen des Sb auch später (1926) in der Kunstgeschichtsschreibung lebendig war, bezeugen die Abschnitte über Sb im Handbuch von Charles Diehl, der nach zwanzig Jahren die Beobachtungen über das Kolorit der serbischen Künstler zitiert, jene Stelle über die Kontraste von rot, blau und violett, die Strzygowski an die Malerei Besnards erinnerte.

Andre Grabar gibt eine ziemlich zurückhaltende Beurteilung der Miniaturen. Er meint, die Illustrationen des Sb bildeten eine neue Version eines langen Zyklus, der wie eine Miniaturausgabe serbischer Fresken aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts wirke. Grabar unterstreicht den folkloristischen Akzent jener Malerei, und ihre schnelle und flüchtige Ausführung. Eine ähnliche, nur bedeutend schärfere Charakterisierung der Miniaturen des Sb gab V.N. Lazarev in seiner »Storia della pittura bizantina«, dort, wo er »il celebre Salterio serbo della Staatsbibliothek di Monaco« erwähnt. Lazarev hält die Illustrationen des Sb wegen ihrer Ikonographie für interessant und führt aus, sie glichen den Fresken des Marko-Klosters, ihre Ausführung sei roh und primitiv (maniera rozza e primitiva). Fast dieselbe Beurteilung der künstlerischen Werte des Sb gibt auch M.V.Sčepkina, die im übrigen die HS »Pribinskaja licevaja psaltyf« (illuminierter Psalter aus dem Kloster Pribina Glava) nennt. Frau Sčepkina widmete Sb ein eigenes Kapitel, in dem sie sorgfältige und nützliche Beobachtungen von Details bringt, die aber in den Schlüssen recht verunklärt werden.
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Münchner serbische Psalter, fol. 92 v. (Sb Nr. 2.51)

Sie bemerkt die »Wörtlichkeit« einiger Illustrationen, die nicht den »Grundgedanken« des Psalms wiedergeben. Es hat jedoch den Anschein, als habe sie mit dem Bild des Wucherers kein glückliches Beispiel gewählt. Cfr. Noch verfehlter ist die Kritik der Miniatur von Christi Geburt. Frau Ščepkina gefällt die »große dörfliche Szene« (Sb Nr. 2.51), die Millet begeistert als »le Souvenir des idylles alexandrines« beschreibt, keineswegs.
In den abschließenden Bemerkungen über die Unterschiede zwischen Τ und Sb unterstreicht Μ. V. Sčepkina einige Gedanken, die sich schwerlich verteidigen lassen dürften, insbesondere die These von der nationalen bulgarischen Miniaturenschule und der Abhängigkeit der Künstler des Sb von westlichen Einflüssen. Die heutigen Vorstellungen von den Unterschieden serbischer und bulgarischer Kunst im Mittelalter, gepaart mit der Tendenz, ihre Eigenheiten so deutlich wie möglich zu unterstreichen, lassen sich nicht auf das späte 14. Jahrhundert anwenden. Das geistige und in besonderem Maße das künstlerische Leben der christlichen Gemeinschaft auf dem Balkan war unter dem Druck der Türkengefahr von Ideen der Einheit durchdrungen, ein Klima, in dem sich auch die Gegensätzlichkeiten zwischen der slavischen und der griechisch-byzantinischen Welt verloren. Einzig das Schisma zwischen der östlichen und der westlichen Kirche ließ sich am Vorabend des Untergangs des Balkanchristentums nicht überbrücken.

Konstantin von Kostenec, genannt »der Philosoph«, erwähnt in seiner Biographie des Despoten Stefan Lazarević, so als wolle er seinen verstorbenen Mäzen entschuldigen, eine katholische Prozession in Belgrad, bei der »auf Papier gemalte Ikonen« mit häretischem Inhalt (also Holzschnitte) mitgeführt wurden, die der Despot (»wie im Traum«) gutgeheißen und an die Belgrader Kirchen hatte verteilen lassen. Cfr.
Die bisherigen Beurteilungen des künstlerischen Wertes von Sb hatten sich häufig allein auf die Reproduktionen im Buche Strzygowskis gegründet, unter denen sich lediglich eine Farbtafel befindet. Außerdem sah man allgemein die Malerei des Sb als das Werk eines einzigen Künstlers an. Jedoch wurde bereits bemerkt, daß in der mittelalterlichen Monumentalmalerei der serbischen Kirchen Equipen von Künstlern mit ungleichen Fähigkeiten arbeiteten, sogar in anspruchsvollen Ensembles und auch in sehr kleinen Räumen. Das Kirchlein der heiligen Joachim und Anna in Studenica z.B. wurde von mindestens drei Künstlern ausgemalt.
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Münchner serbische Psalter, fol. 60 (Sb Nr. 2.30)

Mein Essay über die Malerei des Sb gründete sich seinerzeit auf die Autopsie des Originals selbst und auf Farbaufnahmen, die ich durch das Entgegenkommen der Staatsbibliothek München Ende Februar 1954 erhalten habe. Cfr. Der vorliegende Beitrag bietet eine etwas ausführlichere Darlegung der Entstehung der Miniaturen und zieht auf breiterer Basis jene vergleichbaren Bild- und Textzeugnisse heran, die den Künstlern nahestanden.
Recht künstlich ist die Betrachtung von Miniaturen von zwei verschiedenen Standpunkten. Die Miniaturen sind wohl einerseits ikonographische, andererseits Stil-Dokumente, jedoch lassen sich die beiden Betrachtungsweisen auf Miniaturen komplizierteren Inhalts nicht getrennt anwenden. Die ikonographische Struktur der Darstellung gibt häufig auch dem Stil des Bildes die grundlegenden Züge.

Gleichfalls kann die buchtechnische Entstehungs weise wesentlich auf das Aussehen der Miniatur einwirken: Die Miniaturen des Sb sind auf bereits beschriebene Quaternionen gemalt worden. Die Art des Illuminierens unterscheidet sich im Sb deutlich von den Miniaturen in bulgarischen HSS des 14. Jahrhunderts. Die serbischen Künstler malen rechteckige Miniaturen mit Goldgrund, der in zwei Zonen aufgetragen wird, einer oberen breiteren und einer unteren schmaleren. Das Kolorit der Miniatur wird mitgeprägt durch das Gold, das den Himmel und den Raum unter der Erde bedeckt. Diese Technik wird von griechischen Pracht-HSS angewandt, z.B. dem Tetraevangeliar der Athener Nationalbibliothek aus dem 11. Jahrhundert (MS Nr. 57) oder dem Tetraevangeliar des Johannesklosters auf Patmos aus dem 12. Jahrhundert (MS Nr. 274).
Die Bindung des Kolorits an das Gold wird in seinem Tonwert spürbar, der sowohl mit dem oberen und unteren Goldband als auch mit den Goldreflexen auf der Draperie und dem Mobiliar harmoniert. Der häufige Akkord von gelb und dunkelblau im Kolorit des Sb (Nr. 2.30, 2.90) ist für die spätantike Malerei kennzeichnend und wird in Bildbeschreibungen erwähnt.
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Münchner serbische Psalter, fol. 170 v. (Sb Nr. 2.90)

Der Gebrauch des Goldgrundes und goldener Reflexe erinnert am meisten an die Technik von Miniatur-Mosaiken des 14. Jahrhunderts und kleinen Szenen auf Ikonenrändern (in Feiertagsillustrationen, Heiligenleben und den Versen des Akathistos). Die Bilder sind in der Mehrzahl in rot-blaue Rahmen eingeschlossen; Miniaturen ohne Rahmen sind in Wirklichkeit unvollendet. Sb ist zuerst geschrieben und dann illustriert worden. Die Schreiber haben zunächst den Text in schwarz geschrieben, danach wurden von anderer Hand die roten, blauen und goldenen Buchstaben und die großen roten Punkte eingefügt. Die Skriptoren ließen dabei Stellen für die Miniaturen frei. Mit feiner Feder sind in kleinen Buchstaben, nach dem Zeichen, Erläuterungen oder Überschriften der Szenen eingetragen. Dabei sind diese Bildlegenden in fast volkssprachlicher Version verfaßt. Wenn Bilder kompliziert sind, oder, nach Meinung des Malers, unklar, schreibt er Namen und Wörter direkt in die Miniatur oder um sie herum. Einige dieser Inschriften sind offensichtlich jünger, wie in Bild Nr. 2. 64 die Apostelnamen: »Petar. Ioan. Jakovь«.
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Münchner serbische Psalter, fol. 116 v. (Sb Nr. 2.64)

Pedantisches Kommentieren blieb ein Kennzeichen serbischer Miniaturen und Ikonen auch in späteren Zeiten, bis hin zum Ende des 16. und 17. Jahrhunderts. Der bekannte serbische Maler Longin schrieb sorgfältig Kommentare zu seinem Zyklus von Illustrationen der Vita Stefans Dečanski. Auf der Ikone aus Dečani von 1577 deutet Longin jede Szene mit zwei oder drei Beischriften, einmal mit dem Prosatext aus der Vita Stefans Dečanski von Grigorije Camblak, zum andern mit Versen aus der Akoluthie desselben Camblak, in denen derselbe Vorgang auf dichterische Weise gedeutet wird.
Zur Illustration der Rückkehr Stefans aus Konstantinopel z.B. fügt Longin drei Inschriften hinzu: »pride svetyi ot zatočenia k roditelju« (es kommt der Heilige aus der Verbannung zum Vater); aber er fügt auch die Anfänge zweier Verse über dasselbe Ereignis aus der Akoluthie hinzu: Eine ähnliche Verbindung des Psaltertextes mit anderen Versen tritt schon im Sb auf. Μ. V. Sčepkina machte auf zwei Kirchenlieder aufmerksam, die als Kommentare unter die Miniaturen geschrieben waren. Cf. Auf Bild Nr. 2.30 werden die Psalmverse 45, 7-9 durch den Chor der Märtyrer (»lik svetyh mučenik«) illustriert - der Künstler aber schreibt in die Miniatur den bekannten Vers aus dem Trebnik »Die heiligen Märtyrer, die wohl geduldet hatten.. .« Cfr.
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Münchner serbische Psalter, fol. 181 v. (Sb Nr. 2.93)

Schon die ausführlichen Kommentare an den Rändern der Miniaturen oder in deren Bildfeldern zeigen die beträchtlichen Unterschiede zwischen Τ und Sb. Die serbischen Künstler halten sich häufig buchstabengetreu an den Text. Dank dieser Tendenz verwandeln sich einige Miniaturen fast in Hieroglyphen, wie Bild Nr. 2.93 (Psalm 148.7- »Lobet den Herrn auf Erden...«), wo bis auf den »Sturmwind« jedes Gegenstandswort des Textes sein Bild und fast jedes Bild seine Beischrift hat. Einen detaillierten Vergleich der Bildthemen der Psalmen in Τ und Sb hat Suzy Dufrenne gegeben. Danach läßt sich feststellen, wie viele Illustrationen desselben Inhalts es in beiden HSS gibt.

Diese Ähnlichkeit ist gleichwohl eine scheinbare, denn wenn auch die Themen ähnlich sind, unterscheiden sie sich ikonographisch und stilistisch doch wesentlich voneinander. Die Miniaturen der Entschlafung Maria z. B. (Psalm 65,16) sind von völlig gegensätzlicher Konzeption (Sb Nr. 2.46; ). In Τ erscheint eine typische Buchillustration, in Sb aber eine Ikone en miniature, die ikonographisch und malerisch überladen ist. Die serbische Miniatur ist also das Opfer künstlerischen Ehrgeizes geworden. Die Repliken von Ikonen und Fresken im Sb scheinen manchmal verfehlt, doch sind die besser ausgeführten Beispiele geistreich dem Kleinformat der Handschrift angepaßt.
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Münchner serbische Psalter, fol. 82 v. (Sb Nr. 2.46)

Das Reservoire an Vorbildern, dessen sich die Künstler des Sb bedienten, mag heterogen gewesen sein, doch sind diese hier einem malerischen Grundkonzept klar untergeordnet. Verglichen mit der Malerei des T, haben die Miniaturen des Sb einen komplizierteren Bau und zeugen von ausgesprochen künstlerischer Intensität. Sie wurden augenscheinlich von einheimischen serbischen Künstlern ausgeführt. Ihre künstlerische Handschrift ist nicht primitiv, aber oft überaus nachlässig, routiniert und schnell. Es ist manchmal schwierig zu entscheiden, ob die geistreiche Frische des Unvollendeten (non finito) gewöhnliche Flüchtigkeit ist. Bei einigen Künstlern ist die provinzielle Herkunft deutlich zu bemerken. Ihre Provinzialismen offenbaren sich besonders im lebendigen Realismus des Details - dieser Zug nähert sie spätgotischer Handschriftenillumination des Westens.

Zwei Stilkomponenten treten in der Malerei des Sb hervor: verblaßte, aber unverdorbene Erinnerungen an Vorbilder hellenistischer Herkunft und paläologische Klassizismen, in die schon einzelne Motive eines balkanischen Realismus und einer orientalischen Exotik eingeflossen sind. Die Analogien zwischen der serbischen Monumentalmalerei und den Miniaturen des Sb lassen sich leicht aufzeigen.
Jedoch werden die dunklen Symbole und Anspielungen in der serbischen Literatur um die Wende des 14. Jahrhunderts und ihre Parallelen in der Miniaturmalerei des Sb anscheinend für immer rätselhaft bleiben. Die Komplexität der Malerei in Serbien nach dem tragischen Jahr 1371 ist recht verständlich. In diesen »schlimmsten Zeiten aller Zeiten« hatten sich die gebildeten serbischen Schriftsteller und Übersetzer mit der Ästhetik des Pseudo-Areopagites bekannt gemacht und bedienten sich in der Literatur einer gekünstelten Sprache, in der der Satzbau offensichtlich wichtiger ist als der Satzinhalt, der auf gleiche Weise überladen wird wie auch viele Miniaturen des Sb. Die antiken und frühchristlichen Reminiszenzen werden besonders im Stil der Miniaturen, im eigentlichen Malvorgang sichtbar, nicht so sehr in den ikonographischen Formeln.
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Münchner serbische Psalter, fol. 102 v. (Sb Nr. 2.57)

Die äußere Gestalt hängt im Klassizismus der Paläologenzeit stark vom antiken Exemplum ab, doch wurde sie allmählich in die harte Pedanterie der späten Ikonenmalerei umgewandelt. Auf den schönsten Miniaturen des Sb wurden die alten Verfahren spontanen Malens erfolgreich wiederbelebt. Die Künstler zeigen gekonnt vielköpfige Menschenmassen, sie erfassen Diagonalkompositionen im Tiefenraum, halten sich an das dreifarbige Kolorit von blau, gelb und rot, das mit goldener Schraffur belebt wird, und bauen klug die Struktur des Szenariums, Architekturen, Paradieslandschaften und intime Pastoralszenen auf. Der antike malerische Illusionismus tritt in den duftigen Farben hervor, die die Formen durchdringen, die Draperien, das Inkarnat und besonders die Architektur- und Landschaftskulissen. Der große Baum auf Felsengipfeln, ein altes Thema der malerischen Steinreliefs der Antike, ist im Sb (Nr. 2.57, 2.67) und in den Werken des »letzten Malers der Antike«, Duccio, fast von derselben Art.
Die Mehrzahl der Miniaturen des Sb läßt sich immerhin aus der serbischen Kunst um 1400 erklären. Parallelen in den Miniaturen des Sb und in gleichzeitigen serbischen Ikonen und Fresken geben wertvolle Hinweise, mit denen sich die Herkunft der sie ausführenden Künstler und die Zeit ihres Schaffens bestimmen lassen.

Der Sb hat keine gemalten Initialen, nur große rote, blaue oder goldene Anfangsbuchstaben ohne Schmuckformen. Die hohen, goldenen »Girlanden-Wörter« vor den Textanfängen wurden nicht besonders geschickt ausgeführt (z. B. fol. 8). Die Buchstaben am Anfang der Psalmverse sind rot oder blau geschrieben, nur selten aber hat man rote Buchstaben mit Gold übermalt. Die Vers-Enden werden durch große rote Punkte abgeschlossen. Auf einigen Seiten gibt die lebendige Polychromie dem Gesamtbild ein dekoratives und ansprechendes Aussehen. Über den Kapitelanfängen des Textes sind Ornamente gemalt, deren Kolorit homogen ist und mit den Miniaturen eine Ganzheit bildet. Der erste Titelbalken steht auf fol. 2, über den Miniaturen, die die Vergänglichkeit des Lebens illustrieren. Die Zeichnung des Ornaments ist mit freier Hand recht flüchtig ausgeführt.
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Münchner serbische Psalter, fol. 127 (Sb Nr. 2.67)


Vier Rosetten sind dargestellt, von denen jede sich aus vier in Kreuzform angeordneten Herzen, in die dreiblättrige Blumen eingezeichnet sind, zusammensetzt. Dieses in byzantinischen HSS geläufige Motiv ist auch in der altserbischen Wandmalerei seit dem Anfang des 13. Jahrhunderts bekannt und im 14. Jahrhundert sehr verbreitet. Der malerische Charakter ist bereits im ersten Ornament von Sb spürbar. Die mit dem Pinsel gemalten Formen wirken wie eine plastische Weinrebe, mit Schatten und Reflexen - auf dieselbe Weise sind auch die Blüten ausgeführt.
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Münchner serbische Psalter, fol. 7 v. (Sb Nr. 2.6)

Im Bild Nr. 2.6, einem Autorenporträt Davids, ist der Goldgrund mit verflochtenen Ranken geschmückt, die das Motiv der ersten Vignette vergrößern und komplizieren. Die lebendige Arabeske steht den Textilmustern italienischer Seidengewebe des 14. Jahrhunderts nahe, besonders den gemalten Geweben in der Oberkirche S. Francesco in Assisi auf den Fresken der Giottowerkstatt vom Ende des 13. und Anfang des 14. Jahrhunderts. Das große Ornamentfeld auf fol. 8, vor dem Psalmentitel, hat kompliziert verflochtene Motive. Auf die Diagonalen sind vier Herzen mit eingezeichneten Papageien verteilt. In den Achsen erscheinen vier Löwenmasken mit Blütenreben, die aus ihren Rachen herauskommen. Diese symmetrischen Motive sind durch Flechtknoten und Rankengeflecht verbunden. Das beste Pendant ist das sorgfältig ausgeführte Kreuz in einer Rosette mit Flechtbändern auf fol. 1 der serbischen Hamartolos-Übersetzung, die sich jetzt im russischen Panteleimon-Kloster auf dem Athos befindet. In derselben Handschrift haben die Schreiber Nikodim Mrčeta und Prijak in einem interessanten Postskriptum von 1387 ihre Namen verewigt und hinzugefügt, der »Letovnykь« (Annalen) sei zur Zeit des Fürsten Lazar und Vukьs Branković im Auftrage des letzteren im Erzengelkloster bei Prizren geschrieben worden. Cfr.
Ähnliche Motive , jedoch nicht gemalt, sondern koloriert und mit der Feder gezeichnet, wiederholen sich in serbischen HSS um die Wende des 14. Jahrhunderts häufig. Cf. Ein Flechtmuster desselben Typs hat auch ein Feld des Holzsarkophages von König Stefan Dečanski aus dem Jahre 1338. Auch die zweite Hälfte des Psalters ist durch ein Ornamentfeld und eine Inschrift mit goldenen Buchstaben auf fol. 99V. ausgezeichnet worden. Das Ornament, zwei liegende herzförmige Geflechte blühender Ranken, wiederholt sich häufig - in etwas einfacherer Form - auf dem Fresken von Ravanica (um 1370). Die gut erhaltene Vignette, mit kalligraphischer Sicherheit gezeichnet, ist vom selben Meister geschaffen, der auch die untere Miniatur ausgeführt hat. Cfr.

Die schnell und nachlässig ausgeführte Vignette auf fol. 186 ν. wiederholt ein Motiv, das häufig in den schönsten serbischen Evangeliaren des 14. Jahrhunderts vorkommt, besonders im Evangeliar des Patriarchen Sava (1354-1375) in Hilandar. Die großen grün-blau-weiß-roten Blüten, hier in der Vignette des Psalters in einem Kreis eingeschrieben, werden in den übrigen HSS dieser Zeit in den Rahmen um die Evangelistenporträts oder in kleinen Vignetten oberhalb der Goldbuchstaben der Anfangszeilen der Evangelien gemalt. Die Vignette im Sb ist direkt aus dem griechischen Original übernommen worden: darunter ist noch die in Gold ausgeführte griechische Inschrift erhalten (S. 145), die im serbischen wiederholt wird, »Pesni Mariamni sestri Moiseovy« (Lied der Mirjam, der Schwester des Moses) (fol. 186 v.). Dasselbe Ornament steht vor dem 77. Psalm im Psalter des Benaki-Museums (fol. 90), der ins 12. Jahrhundert datiert wird, wohl aber aus dem 13. Jahrhundert zu stammen scheint.
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Münchner serbische Psalter, fol. 186 v. (Sb Nr. 2.104)

Über dem Text des Gleichnisses vom Samariter (Lukas 10.30) steht auf fol. 203 v. eine schön gemalte Vignette. Die elegant gewundene Akanthus-Ranke mit Blüten ist frischer im Kolorit und erinnert an die dekorativen Rahmen spätantiker Fußbodenmosaiken, die wiederum Vorgänger in der Steinplastik seit Septimius Severus haben. Cfr.
Noch deutlicher zeigt das Ornament auf fol. 228, am Anfang der Troparien, seine antike Herkunft. Vier in Kreisfelder komponierte Masken sind dargestellt, denen aus den Scheiteln und Mündern doppelte Ranken mit Knospen und Blüten herauswachsen. Ähnliche Masken sind auf der Beatus-Seite (fol. 8) verwandt worden. Auf fol. 228 läßt sich kaum entscheiden, ob die Masken Löwen oder Menschen zeigen sollen. Auf Bild Nr. 6.1 hat es den Anschein, als seien Menschenköpfe ähnlich denen des bekannten Mosaiks aus dem Großen Palast in Konstantinopel, nur in stärker komprimierter Form gemalt. Im Sb ist der Kopftyp des Okeanos deutlich stilisiert, aber man erkennt immerhin die großen Augen un den grauen Schnurrbart. Löwenköpfen ähnlicher sind Häupter, die im Sb als architektonischer Schmuck benutzt werden, z.B. in Bild Nr. 2.16. Cfr. Die Ornamente des Sb zeigen recht klar die Kombination von Vorbildern, die sowohl für den Ort als auch für die Zeit der Entstehung der Handschrift typisch sind. Die Ornamentik der bulgarischen und serbischen HSS des 14. Jahrhunderts ist sehr ähnlich. Die Initialen und Ornamente in T, einer etwas älteren HS, haben Parallelen in serbischen Handschriften. Das Titelornament auf fol. 130 wiederholt sich fast bis zum kleinsten Detail in der serbischen HS der Homilien des Johannes Chrysostomos (frühes 15. Jahrhundert, Bibliothek des Athosklosters Hilandar Nr.400).
Die »himmelblauen Initialen« in Τ haben ihre nächsten Parallelen im serbischen Psalter aus der Sammlung Sevastianov, der ebenfalls aus Hilandar stammt . Auch die einfacheren »weißen Initialen« von Τ begegnen in dem erwähnten serbischen Psalter aus Moskau und ebenfalls im Evangeliar des Vojvoden Nikola Stanjević (Hilandar MS Nr. 14) aus der Zeit vor dem Jahr 1366.
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Münchner serbische Psalter, fol. 99 v. (Sb Nr. 2.54)

Die reich ornamentierten serbischen MSS des 14. Jahrhunderts unterscheiden sich wesentlich von Sb. In der Mehrzahl haben sie eine vereinheitlichte, systematisch angelegte Ornamentik. Man findet dekorative Felder, Vignetten und Initialen desselben Stils, der sich auf die russischen Pracht-HSS des 11. und 12. Jahrhunderts zurückführen läßt. Die Ornamente des Sb sind dagegen für den Eklektizismus des Konstantinopler Hofstils der Paläologen kennzeichnend. Sie rezipieren ebenso Motive der spätantiken Tradition (fol. 203 v. und 228) wie Teile der klassisch-byzantinischen Buchornamentik des 11. und 12. Jahrhunderts (fol. 186 v.) und italienische Einflüsse (fol. 8). Das Ornament auf fol. 99 v. verweist deutlich auf die Verbindung des Sb mit einer bestimmten Werkstatt, diezwischen 1370 und 1390 für den Fürsten Lazar, seine Witwe Milica und seinen Sohn Stefan arbeitete. Langgezogene Acht-Figuren mit eingeschriebenen Herzen, die in der HS waagrecht liegen, werden im Kloster Ravanica als vertikale Ornamentstreifen auf den gemauerten Pfeilern verwandt. In Ravanica treten sie aus den Mäulern von Wesen, die sowohl an Löwen als auch an Menschen erinnern - sie sind am oberen Abschluß der Pfeiler als Kapitell-Imitationen gemalt. Die schönste serbische Handschrift mit einer Ornamentik, die den Ornamenten des Sb vergleichbar ist, findet sich jetzt in der Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin (Ms. slav. Wuk Nr. 47), ein pergamentener Apostolar des späten 14. Jahrhunderts, der sich noch am Ende des 18. Jahrhunderts in der Umgebung von Kotor befunden hat. In seiner Beschreibung dieser Handschrift hat schon A. I. Jacimirskij die Schönheit der Ornamentierung hervorgehoben. Besonders die Vignette (»zastavka«) auf fol. 86 v. war ihm in die Augen gefallen; er nennt sie lobend »erstaunlich gelungen«, vergleicht sie aber im übrigen naiv und unbestimmt mit »venezianischen Mosaiken«.
Die Ornamentik des Berliner Apostolars ist dem Schmuck des in London befindlichen serbischen Evangeliars von 1354 verwandt, wiederholt aber in einigen Motiven Themen aus dem Evangeliar des Patriarchen Sava. Das Berliner Apostolar (fol. 144, 129, 74 v) steht dem Sb vor allem in der Geläufigkeit der Zeichnung nahe. Die Ornamente sind leicht hingeworfen, geschickt, aber nicht kalligraphisch oder pedantisch. Die rechteckigen Ornamentfelder beider Handschriften weisen nicht jene breiten Rahmen auf, die sonst für serbische Handschriften jener Zeit typischen Zierleisten mit dem ruhigen Duktus verbundener, sich wiederholender Kreise oder Voluten.
Die einzige erhaltene Maler-Inschrift in Ravanica überliefert uns den Namen des Konstantin, eines Künstlers, der der Gruppe von Illuminatoren des Sb ganz nahe steht. Zu dieser Annahme zwingen zahlreiche Ähnlichkeiten zwischen dem Freskenstil in Ravanica und den Miniaturen jenes Malers im Sb, der die großen Figuren mit kleinen Köpfen malt (Nr. 2. 54). Das Künstlerproblem, das sich in der Ornamentik bereits ankündigte, stellt sich noch entschiedener im Stil der Miniaturen. Die Eigenheiten der Malerei des Sb treten wohl am deutlichsten in ihrem Kolorit zutage. Es ist nur scheinbar einheitlich, denn, wenn die Maler auch dieselbe Skala von Grundfarben benutzen, unterscheidet sich ihre Anwendung doch grundsätzlich. Die Miniaturen der geschickten und pedantischen Zeichner haben kein Kolorit von besonderem Wert, während einige schnell gezeichnete und einfach komponierte Szenen ein glänzendes Kolorit aufweisen. Zum Glück sind Miniaturen, die sowohl zeichnerisch grob als auch in der Farbe schmutzig sind, selten.
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Münchner serbische Psalter, fol. 139 r. (Sb Nr. 2.78)

Eine spontane Sensibilität für das Kolorit zeigt sich besonders in Miniaturen ohne menschliche Figuren. Die ungewöhnliche Szene: Die Erde verschlingt Dathan (Psalm 105; Nr. 2.78) ist ganz in intensiven Farben gehalten. Das Gold des Hintergrundes und der goldene und rote Ocker der Erde dominieren. Die Bäume sind grün und hellblau mit weißen Höhungen auf roten Blüten und kühnen roten Reflexen. Spärliche graue und graugrüne Grasbüschel wachsen um den schwarzen Abgrund, aus dem das lebhaft rote Kleid Dathans mit goldenen Reflexen leutet.
Häufig wiederholt sich in den Miniaturen das intensive Kolorit von Ikonen. Die Illustration des 33. Psalmes erinnert an eine Ikone des späten 14. Jahrhunderts (Nr. 2.25). Die violett-rosa gehaltene Architektur wird von roten Dachziegeln gekrönt; David trägt eine lebhaft rote Tunika und einen dunkelblauen Uberwurf; die Höflinge sind in grüne, rote und hellgelbe Tuniken gekleidet, Abimelech trägt einen dunkelvioletten Sakkos. Die narrative Darstellung, der Reichtum an koloristischen Akzenten und die geistreiche Zeichnung menschlicher Profile auf der Wandfläche unter dem Thron erwecken den Anschein, als seien sie von den zahlreichen Wunder- und Marterszenen auf den Rahmen späterer Ikonen hierher übertragen worden.
Dem Geist der Buchmalerei stehen einige Szenen aus dem Leben Davids näher, die auf dieselbe Weise koloriert sind, z. B. »Saul sendet Krieger in das Haus des Abimelech, daß sie David ergreifen« (Nr. 2.35). Die Struktur des Bildes, das mit dem Ohrenbläser, dem Herrscher und Gardeoffizieren in voller Rüstung eine Hofintrige effektvoll wiedergibt, beruht vollständig auf der Farbe. Die leicht hingeworfene Zeichnung deutet den festen Ausdruck des Kolorits nur an, das sowohl die Raumtiefe, die Helligkeit, die Plastizität der Formen als auch die Lebhaftigkeit der Bewegungen trägt. Auf dem kleinen, schnell vollendeten Bild gelang es dem Künstler, eine Farbkonzentration mit strahlendem Leben zu erfüllen.
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Münchner serbische Psalter, fol. 124 v. (Sb Nr. 2.66)

Es ist dies zweifellos derselbe Künstler, der sich auf einigen Szenen aus dem Hofmilieu Davids eines etwas lebhafteren Kolorits bedient. Die Polychromie ist auf die Lokalfarbe der Formen reduziert und erinnert häufig an eine heitere Pantomime. Auf Miniaturen, in denen alles zur Symmetrie drängt - sowohl die Architekturkulisse als auch die Gebärden der Dargestellten - unterstreicht auch die Farbe jenes dominierende Gesetz preziöser Eleganz.
Auf Bild Nr. 2.66 schlägt David die Leier, und die Arbeiter scheinen zu den Tönen seiner Musik den Tempel zu erbauen, ein symmetrisches Bauwerk aus zwei mit Tonnen überwölbten Schiffen und einem Turm in der Mitte. Die Dächer sind hellblau. Die beiden Arbeiter am Turm haben kurze rote Tuniken, die beiden Arbeiter auf dem Dach hellblaue Jene vor David aber scheinen ein Ballett aufzuführen. Der erste von links hält eine Maurerkelle, der zweite einen Mörteltrog, der dritte einen Stein auf der Schulter, der vierte wieder einen Trog, der fünfte einen Stein - alle im Rhythmus des Tanzes und des regelmäßigen Wechsels.
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Münchner serbische Psalter, fol. 88 v. (Sb Nr. 2.49)

Von ganz anderem Charakter ist das Kolorit eines Künstlers, der auch auf den schwarz-weißen Reproduktionen leicht zu erkennen ist. Besonders klar tritt er auf der großen Miniatur der Via crucis hervor, auf der sich Christus an die Töchter Jerusalems wendet (Nr. 2.49). In die kastanien-braun-graue Steinlandschaft ist die routiniert gemalte Komposition der Prozession eingebettet, die sich in langsamem Rhythmus diagonal in den Vordergrund bewegt. Die feine Intonation des Kolorits ist zurückhaltend nuanciert. Der dunkelgraue Purpur der Kleidung Christi dominiert in der heimlichen Unruhe graugrüner und graublauer Töne, die nur durch die rote Tunika des Henkers mit dem Schwert und den Überwurf der einen Tochter Jerusalems, die mit ihm Gesicht und Hände verdeckt, belebt werden. Ein geschickter Wechsel der Töne hebt die Gruppe erregter Frauen hervor, die den Zug abschließen. Voran geht der feierlich aufgeputzte Krieger in gelben Stiefeln, hellblauen Hosen, braunem Lederkoller mit rotem Mantel und graublauem stählernem Helm - die Figur hebt sich betont von den anderen ab und kontrastiert mit der Figur Christi. Otto Demus hat, als er die allgemeinen Kennzeichen des Kolorits in der byzantinischen Buchmalerei beschrieb, die Eleganz der gedeckten Farben im 14. Jahrhundert hervorgehoben. Jenem Ton zurückhaltender Kühle, die eine durchdachte Schönheit verdeutlicht, ist der erwähnte Miniaturist des Sb sehr nahe. Autor einer besonderen Gruppe von Illustrationen, war er zweifellos ein gründlich ausgebildeter Schüler Konstantinopler Klassizisten, dessen kühle Ausgewogenheit offensichtlich den Strömungen in der Malerei der ersten Jahrhunderthälfte verbunden ist. In diesem Stil bleibt nichts unausgefeilt, weder die korrekte Zeichnung, die durchdachte Komposition, die Plastizität der Formen noch die geistreich beobachteten Physiognomien oder die Raumillusion - aber dem Kolorit ist offenbar eine Nebenrolle zugeteilt worden.

Die neuen Farbreproduktionen werden zum ersten Mal die Schönheit jener schnell und kühn gemalten Miniaturen zeigen, die ein Kolorit von überdurchschnittlicher Sensibilität aufweisen. Der Künstler, der die ungewöhnlichen Erlebnisse Davids in der Stadt Gath illustrierte (Nr. 2.39) improvisierte wirklich souverän ein kleines Meisterwerk. Seine leichten hellgrünen, hellblauen, rosa und kastanienbraunen Farben mit goldenen und weißen Reflexen, seine elegante Stadtarchitektur und der romantische Felsen haben bereits die Lyrik und die Spiritualität der Fresken des Klosters Kalenić. Diese saftige und heitere Intonation des Kolorits wird in der serbischen Malerei des frühen 15. Jahrhunderts nur kurze Zeit dauern. Bereits im drittenjahrzehnt wird sich das Kolorit auf prächtige Routine einer Dekoration, die in geschliffene Formeln verfestigt ist, reduzieren, aus denen die Überraschungen frischer Improvisation verschwinden.
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Münchner serbischen Psalter, fol. 72 v. (Sb Nr. 2.39)

Schon erprobten Traditionen ist jener fruchtbare Künstler mehr zugeneigt, der mit dekorativem Sinn die Farben auseinanderliegender Details kombiniert z.B. auf der Miniatur der Gä (Nr. 2.22) in der das Kolorit auf rot, ocker, blau und das aus ihnen gewonnene Grün reduziert ist.
Derselbe Künstler zeigt Formen und Farben, die der Logik starken Ausdrucks unterworfen sind, und eine Bildstruktur intensiver Farben, die durch dunkle Konturen und plötzliche weiße Reflexe verfestigt ist (fol. 170 v.).
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Münchner serbische Psalter, fol. 33 (Sb Nr. 2.22)

Unter dem Einfluß von Vorbildern aus der Monumentalmalerei wird das Kolorit, zugegeben in seltenen Einzelfällen, auf strenge, recht effektvolle Symmetrie reduziert, wie etwa in der Miniatur der Salbung Davids (Nr. 2.2). Die kräftig modellierten dunkelblauen Gewänder Samuels und Jesses umschließen das leuchtend weiße Hemd des kleinen Davids, das sich von dem intensiven Rot der niedrigen Mauer effektvoll abhebt. Diese fast heraldisch feste und symmetrische Farbkomposition ist im Sb höchst selten.
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Münchner serbischen Psalter, fol. 27 (Sb Nr. 2.19)

Ein qualitativ unbeständiger Künstler, der mit seinem Gehilfen die Festbilder malte, vermochte in glücklichen Augenblicken, die Farbskala gut gemalter Ikonen in Miniaturen zu übertragen, so etwa in das koloristisch sehr gelungene, schnell gezeichnete Pfingst-Bild (Nr. 2.19). Das fein zusammengestellte Kolorit der feierlichen Szene ist auf den Goldgrund abgestimmt. Das diskret nuancierte Blau der auf einem apsidalen Synthronos sitzenden Apostel umschließt eine lebhaft farbige Mitte wie in dunkler Tiefe: den rot-goldenen Kosmos und die auffallend gekleideten Vertreter der Völker.
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Münchner serbischen Psalter, fol. 3 (Sb Nr. 2.2)

Die letzte Miniatur des Sb (Nr. 6.6) glänzt von Gold. Ihr Kolorit ist auf den starken Kontrast von rot und dunklem blauviolett reduziert. Kräftig scheint es durch das Netz goldener Striche, so wie im Email die leuchtenden Farben durch die Kalligraphie der Goldzeichnung dringen. Diese Rück-erinnerung an solche Techniken war in der ganzen spätbyzantinischen Kunst lebendig. Eine ähnliche, aber technisch vollkommenere, in Gold eingebettete Farbskala herrscht in den Evangelistenporträts des serbischen Evangeliars vor, das der Künstler Radoslav im Jahre 1429 (jetzt in Leningrad) ausgemalt hat. Die Maler des Sb, recht erfahren als Maler einer bestimmten künstlerischen Kultur, zeigen auch gewisse Züge von Gelehrsamkeit. Sie waren imstande, die in der Paläologen-kunst häufig auftretenden, bisweilen komplizierten und aufdringlichen, Personifikationen zu malen. Die ungewöhnliche Welt antiker Gestalten tritt schon auf den ersten Blättern auf, denn im Autorenbild des Königs David wird der Heilige Geist als Engel der Inspiration gezeigt, der dem Dichter den Psalter souffliert. Die Bildlegende erklärt die Szene: »Der Heilige Geist lehrt den König David, den Psalter zu schreiben« (Nr. 2.6). Das Bild des inspirierten Dichters ist in der byzantinischen und altserbischen Kunst sehr häufig. Um 1400 wird die Darstellung in der serbischen Monumental- und Buchmalerei besonders gefühlvoll: eine Person, die den Dichter inspiriert, schmiegt ihr Haupt an das seine und lehnt sich meist mit der Hand auf seine Schulter. Cfr.

In der Miniatur »Der Kelch des Todes« (Nr. 1.1), die einen jungen Sterbenden mit trauernden Freunden zeigt, nähern sich dem Sterbenden zwei dunkle Dämonen, die als Personifikationen der mitarstva- mytarstvo - telonium bezeichnet sind.Das sind die Zollbarrieren der Sünden, von der Verleumdung bis zur Hartherzigkeit, an denen »Äthiopier« stehen.
Im Sb sind nur zwei »Zöllner« gemalt, die sehr an die Statuetten des Thanatos und Hypnos, die Zwillinge der griechischen Mythologie, erinnern. Dem Aussehen nach ähneln sie am meisten Bronzestatuetten; den Analogien nach wäre Thanatos der größere mit dem Kelch und der kleinere wäre Hypnos, der sogar die für ihn typische antike Frisur (den cirrus) beibehalten hat. Christlicher Symbolik, ohne stärkere Anlehnung an antike Personifikationen, gehören die Gestalten des Alten und des Neuen Testaments (Nr. 2.21) an; ein Motiv, das sich in der Ikonographie der Paläologenkunst wieder häufiger findet.
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Münchner serbische Psalter, fol. 31 (Sb Nr. 2.21)

Stadtmodelle inmitten einer Landschaft, typisch für frühchristliche und frühbyzantinische Mosaiken und Miniaturen, erscheinen in der Paläologenzcit wieder. Auf der ersten Miniatur der Erzählung vom Samariter (Nr. 3.1) ist die Straße vonjerusalem nach Jericho auf die alte stereotype Weise gezeigt. Rechts ist Jerusalem, links Jericho, beide Städte benannt, auf dieselbe Art gemalt wie die Städte in der Illustration der Reise Pauli nach Damaskus in der Kosmas-Indikopleuste-HS des Vatikans. In einer etwas malerischen Variante ist der Weg Christi und der Apostel aus Bethphage und Bethanien nach Jerusalem gestaltet. Die Auffindung der Eselin, »auf der noch nie jemand saß« (Markus 11,2), erscheint im Sb als einführende Episode auf dieselbe Weise wie auf dem Fresko von Gračanica (Nr. 2.14). Cfr.
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Münchner serbische Psalter, fol. 15 (Sb Nr. 2.14)

Kirchenväter als fontes scientiae (Nr. 2. 33) begegnen auch in den Fresken des Narthex der Klosterkirche von Lesnovo, jedoch auf eine Weise, die ihren unterschiedlichen Rang verdeutlicht. Während in Lesnovo alle vier Hierarchen als Lehrer mit fast gleicher Schülerzahl dargestellt werden, hebt die Miniatur ihre Ungleichheit hervor. Im Psalter finden wir anstelle der vier Kirchenlehrer nur drei, Gregorios Theologos, Basilios den Großen und Johannes Chrysostomos. Das erklärt sich offenbar aus dem Einfluß des Festes der »Drei Hierarchen« (30. Januar), augenscheinlich aber auch aus der Diskussion über ihre Bedeutung. Cfr. Der Miniaturist unterscheidet sie deutlich, obgleich sie in der Vision des Johannes von Euchaita aussagen: »Wir sind gleich vor Gott, wie du siehst, unter uns gibt es keine Unterschiede... unter uns gibt es weder einen Ersten noch einen Zweiten«.
Gregorios Theologos wird mit einem einzigen Schüler und einem kleinen Rinnsal aus dem Quell seiner Weisheit gezeigt, Basilios der Große mit zwei Schülern und einem größeren Quellfluß. Johannes Chrysostomos aber ist als der wichtigste dargestellt: Von ihm gehen zwei Flüsse aus, an denen sich viele laben, die nach seiner Belehrung dürsten. Dieses Spiel mit Unterscheidungen wird durch das Aussehen der Schüler noch unterstrichen: Vor Gregorios und Basilios stehen Gelehrte in reichen Gewändern, vor Johannes schlicht gekleidete Mönche. Das Bild des Lehrens illustriert fast wörtlich die Anfangsverse des 48. Psalms, die auch oberhalb der Miniatur geschrieben stehen. Die heiligen Väter spenden »Weisheit« und »Verstand«, die als Quellwasser gemalt werden.
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Münchner serbischen Psalter, fol. 63 v (Sb Nr. 2.33)

Die Reichen und Armen sind am Kontrast ihrer Kleidungen und am Aussehen von Herren und Tölpeln kenntlich. Das beliebte Gleichnis von der Weisheit als lebendigem Wasser ist auch in der altserbischen Literatur geläufig. Ein Anonymus aus Hilandar aus dem 15.Jahrhundert dichtet, als betrachte er diese Miniatur: »Quell in Wahrheit bist du, Vater Johannes / geistigen Wassers Schwall verströmend / und der Gläubigen Herzen klüglich letzend«. Cfr. Auch später im 16. Jahrhundert schreiben serbische Schriftsteller in wortreichen Exkursen über die Schönheit des Buches als Quelle der Weisheit: »Nimm diesen ehrenreichen und seelenbefriedenden und süßen Quell lebendigen Wassers entgegen... Von diesem Wasser haben sich die Ehrwürdigen sattgetrunken, tranken alle Gerechten, deren Wohnstätte das obere Jerusalem, deren Vaterland der göttliche Sion ist... Von diesem Wasser tranken die Kaiser... und die Mächtigen übergaben ihren Reichtum den Händlern und errichteten Klöster, schmückten die Kirchen mit geisterfüllten Schriften. Es sei dir denn bekannt, ehrenreicher Priester und Diener der Göttlichen Mysterien... die Kirche ist ohne diese Bücher dem Bilde gleich, das keine Augen hat, denn der der heiligen Schriften unerfahrene Mensch ist wie das Vieh«. Cfr.

An der Miniatur der »Belehrung« sieht man, wie leicht beliebte Motive der Literatur in die Psalterillustration übergehen. Dennoch ist schwer zu bestimmen, in welchem Maße die alten Vorbilder aus der frühchristlichen und frühbyzantinischen Kunst direkt in das späte 14. Jahrhundert übertragen worden sind. Die »Tölpel«, die liegend mit den Mündern aus den Flüssen der Weisheit Johannis Chrysostomos trinken, ähneln sehr den Hebräern, die das süße Wasser trinken, wie es das Mosaik der Kirche Santa Maria Maggiore zeigt. Vergleichbare gemeinsame Themen von Malerei und Literatur wiederholen sich mehrfach im Sb. Die gleich zu Beginn illustrierte Erzählung von der Vergänglichkeit des Lebens (Nr. 1.2; »der Mensch gejagt vom wilden Tier...«) erscheint in der serbischen Monumentalmalerei bereits um 1309 im Turm der Kirche »Gottesmutter von Ljeviš« in Prizren, zweifellos dank der Popularität dieser Szene in der byzantinischen Literatur und Kunst, häufig als Illustration des 143. Psalms. Als Marginalillustration kehrt diese Szene auch im russischen Psalter von 1397 wieder. Cfr.
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Münchner serbische Psalter, fol. 133 (Sb Nr. 2.71)

Einen besonderen Charakter verleihen dem Sb diejenigen Personifikationen, die unverändert aus der antiken Malerei übernommen worden sind. Es ist immer derselbe Künstler, der die Personifikationen der Gä, des Meeres, des Lichts, der Nacht und des Jordans darstellt. Sie werden als Mädchen mit aufgelöstem Haar und bis zum Gürtel nackt gezeigt, so daß sie eine Brust sehen lassen (Nr. 2.22, 2.71, 2.102). Ihr männlicher Gegenspieler, der Jordanfluß, ist fast nackt, bis auf eine kurze Draperie um die Hüften (Nr. 2.84).
Von den Personifikationen ist ohne Zweifel Gä die schönste. Sie wird so gezeigt, wie sie der Schöpfer selbst aus der Höhe sieht (Nr. 2. 22). So wird sie auch in einem Gedicht des Manuel Philes beschrieben, als Boot, das die Welt voller Ladung führt und wie das Festland über den Wassern schwebt.
Die Miniatur steht den Worten des spätbyzantinischen Dichters nahe, welche selbst auch nicht übermäßig originell sind. Philes erweitert die Worte Davids »alles, was lebt« zu einem auseinandergezogenen καὶ πᾶν πετειῶν, ἑρπετῶν, νηκτῶν γένος - der serbische Künstler wiederum reduziert all das auf einen Vogel und ein Tier, und zwar eigenartigerweise als zwei heraldische Zeichen, einen Stierkopf und einen Doppeladler. Die Heraldik der serbischen Siegel macht die Hypothese wahrscheinlich, daß Stierkopf und Doppeladler Wappen der Familie des Fürsten Lazar (☨ 1389) sind. Deutlichere Schlüsse lassen sich gegenwärtig daraus nicht ziehen, denn den Helm mit Stierhörnern benutzen als heraldisches Zeichen sowohl Fürst Lazar als auch sein Sohn Stefan (☨1427), ebenso wie später die Brankovići dasselbe Zeichen gebrauchen. Cfr. Leicht sind die Hauptelemente der Symbolik zu erkennen: Oben aus dem Himmelssegment schaut die Hand Gottes heraus, welche die Seelen gemäß den Worten von Sapientiae 3.1 umschließt. Die Seelen befinden sich offensichtlich im Paradies, das von Bäumen bestanden ist, aus dem die vier Paradiesflüsse entspringen. Die Gä selbst ist in der serbischen Monumentalmalerei häufig anzutreffen, so im Weihnachtssticharion (Žiča, Ravanica), im Jüngsten Gericht (Prizren; Gračanica; Dečani), im Genesis-Zyklus (Dečani) und in der Illustration der letzten Psalmen (Lesnovo). Cfr. Die Gä von Lesnovo (als »Erde« bezeichnet) unterscheidet sich von derselben Personifikation im Sb beträchtlich. Die dekolletierte Gä mit einem Blumensträußchen im Haar, wie sie der Sb zeigt, ist dem antiken Sensualismus näher. Es hat den Anschein, als sei sie aus dem Genesiszyklus von Dečani kopiert. Die Worte der Genesis I. 11 sind in Dečani auf einem besonderen Fresko gezeigt. Christus als Schöpfer segnet die Personifikation der Erde, ein dekolletiertes Mädchen, dem auf dem Haupt Gras wächst, mit einem »fruchttragenden Baum« in der Linken.
Die Inschrift ist gut erhalten und lautet »Und Gott sprach, daß die Erde Gras sprieße« (»I reče bog da prozebnet zemlja travu sennuju«). Die aufgeblühte Erde ist in der serbischen Ikonographie des 14. Jahrhunderts eine geläufige Personifikation. Eine ähnliche Personifikation der Asia wiederholt sich in der serbischen Redaktion des Troja-Romans, die als »Azija obrazom cvetna« angeführt wird, eine Stelle, die sich aus den Metamorphosen Ovids (»Asiae fiorentis imago«) hierher verirrte.
Der Gä ähneln auch die Mädchengestalten, die das Licht und die Nacht personifizieren. Die symmetrischen Prozessionen auf der Illustration »Alles was Odem hat...« auf Bild Nr. 2.102 schließen mit einer hellen Figur, die eine entzündete Fackel hochhält, und einer dunklen, welche die Flamme der gesenkten Fackel löscht.
Das Aussehen derselben Personifikationen im Eingang zum Narthex der Kirche »Gottesmutter von Ljeviša« in Prizren ist bedeutend komplizierter und weniger heidnisch. Das Lichtmädchen von Prizren hat eine bedeckte Büste und Engelflügel. Anstelle der entzündeten Fackel hält es ein Rhipidion mit dem leuchtenden Brustbild des Christus-Emmanuel, umgeben von einem Lichtkranz, aus dem wie aus der Sonne Strahlen hervorbrechen. Der jugendliche Christus ist hier offensichtlich als eine christliche Interpretation der Sonne aufgefaßt. Die Repräsentanten der Wissenschaft sind auf der kleinen Miniatur, die den neunten Oikos des Akathistos illustriert (Nr. 4.17), recht versteckt. Die dargestellte Szene bezieht sich auf den Anfang der Hymne: »vieltönende Redner...« ('Ρητορας πολυφθόγγους... vetie mnogovešanny).
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Münchner serbische Psalter, fol. 202 v. (Sb Nr. 2.116)

Neben der massiven Architektur einer Säule mit Architrav (wie auf Nr. 2.116) sitzt im Garten mit niedrigen Bäumen die Gottesmutter mit dem Christuskind, beide von einer Mandorla umgeben. Um sie herum sitzen reich gekleidete »unweise Philosophen«, die in den Händen beschriebene Rotuli halten. Die Darstellung der Gottesmutter mit dem Kind, von einer Siebenzahl von Gelehrten umringt, ließe sich schwerlich mit einer Symbolik in Verbindung bringen, wenn es nicht eine ähnliche Szene auf einer Ikone des Akathistos im Moskauer Kreml gäbe, die sich heute in der Restauratorenwerkstatt der Uspenie-Kathedrale befindet. Diese Ikone vom Ende des 14. Jahrhunderts ist keine russische, sondern ist stilistisch dem Akathistos aus dem Marko-Kloster bei Skopje vergleichbar. Das Bild des neunten Oikos auf der Moskauer Ikone entstand nach einem gemeinsamen ikonographischen Vorbild, das auch der Maler des Sb benutzte. Auf der Ikone sitzt die Gottesmuter ohne Kind auf dem Thron, hinter ihr stehen zwei Kirchenväter, um sie herum sitzen sieben erregte »Philosophen« mit Büchern und Rotuli. Auf den Blättern sind die Bezeichnungen ihrer Wissenschaften aufgeschrieben: Der erste rechts ist ein Vertreter der Philosophie, der zweite unter ihm ist Repräsentant der Grammatik und Arithmetik, der dritte der Astronomie, die übrigen der Geometrie, Geodäsie, Musik und Theologie. Die Ikone ist noch nicht bis zu Ende gereinigt; man sieht, daß die Namen der Wissenschaften über ältere, ausgeblichene Buchstaben geschrieben und auf der rechten Seite irreführend sind. Ein Restaurator des 18. Jahrhunderts hatte den Gegensatz zwischen dem Theologen, der die Gottesmutter anschaut und zu ihr betet, und dem Philosophen, der ohnmächtig sein Gesicht in den Händen versteckt, nicht begriffen. Das Kleinformat der Miniatur hat dem serbischen Künstler nicht erlaubt, mit Kontrasten zu spielen wie der Maler der Moskauer Ikone, der Theologen, Philosophen, und Musiker als angesehene Leute durch hohe Hüte und feierliche Kleidung heraushebt, indes die anderen barhäuptig und in kurzen Gewändern gezeigt sind. Im Sb sind alle in die feierliche Kleidung der Gelehrten aus der Paläologenzeit gekleidet, weisen aber immerhin durch ihre Seitenverteilung auf das Trivium und Quadrivium.
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Münchner serbische Psalter, fol. 212 (Sb Nr. 4.4)

Diese unerwartete antiquarische Gelehrsamkeit der spätbyzantinischen Klassizisten ist auch auf einigen anderen Miniaturen des Akathistos spürbar. Die Illustration des dritten Kontakion (Nr. 4.4) »Die Kraft des Höchsten« wiederholt ebenfalls ein in der spätantiken Ikonographie häufiges Motiv.
Hinter der Gottesmutter auf dem Thron stehen zwei Mädchen, die ein großes Tuch als Vorhang halten. Das ikonographische Motiv der Gottesmutter »des Zeichens« (Znamenie) ist verändert worden. Die Mutter thront als Orantin, aber anstelle des Christusbildes im Medaillon ist der schon gegenwärtige Sohn gemalt. Im Augenblick der »Überschattung« durch den Heiligen Geist wird, wie in der antiken Mythologie, das Mysterium verdeckt. Ähnliche Vorhänge hinter edlen Damen sind in der spätantiken Plastik besonders auf Sarkophagreliefs häufig anzutreffen. Auf ähnliche Weise wie die Gottesmutter empfängt auch Danae von Zeus hinter einem großen Vorhang »la pluie d'or«.
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Münchner serbische Psalter, fol. 101 (Sb Nr. 2.55)

Am schönsten sind im Sb jene Entlehnungen aus der antiken Kunst, die keine symbolische Tendenz haben. Gabriel Millet schon hat auf die malerische Frische des Hirten auf dem Christi-Geburt-Bild (Nr. 2.51) hingewiesen und eine Reihe hellenistischer und spätantiker Vorbilder ähnlichen Aussehens aufgezählt. Cfr. Dasselbe könnte man auch für die Bauern auf Bild Nr. 2.69 sagen, denn sowohl der Pflüger als auch die Grabenden erinnern an Figuren aus der bukolischen Szene eines lateranensischen Sarkophags. Es gibt immerhin im Sb einige Reminiszenzen aus der frühchristlichen Kunst, die mehr epischen Charakter tragen, vor allem auf den Illustrationen zum Exodus (Nr. 2.55, 2.67, 2.77) und besonders auf Bild Nr. 2.5. Die Kinder, die kaum die eilenden Schritte der Erwachsenen mithalten können, wiederholen ein ähnliches Thema der Sarkophagplastik. Die Masse der Hebräer, die trockenen Fusses durch das Rote Meer gehen, wird ähnlich wie auf dem Mosaik von Santa Maria Maggiore dargestellt.
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Münchner serbische Psalter, fol. 5 (Sb Nr. 2.5)

Es ist leicht zu erkennen, daß sich fast die ganze kleine Kollektion antiker Entlehnungen auf den Miniaturen des Sb mit der Malerei des Künstlers der Gä verbindet, der seinen Klassizismus in nicht allzu gepflegten Formen ausdrückt. Der Miniaturmalerei zugetan, zeichnet der Künstler keine harmonischen Proportionen des Körpers und hält sich mit durchstudierten Draperien nicht auf. Gleichwohl hat seine Malerei eine sichere koloristische Grundlage. Alle Maler des Sb bemühen sich, auf ihre eigene Weise den antiken Vorbildern nahezukommen. Der Maler der Gä, der sich in der Bildstruktur schon vom Klassizismus entfernt, bindet seine Malerei fast äußerlich, durch die Gestalten der Personifikationen, an die alte Kunst. Der Meister des Davidsporträts, ein sorgfältiger Zeichner, näher den edlen Proportionen der menschlichen Gestalt, malt dagegen eine Personifikation des Heiligen Geistes, die sich vom mittelalterlichen Engeltyp fast nicht abhebt.
Die schon stark verchristlichte Galerie antiker Personifikationen im Sb hatte ihre Entsprechungen auch in der serbischen Übersetzungsliteratur. Ein serbischer Sammelband aus dem frühen 14. Jahrhundert, in dem u. a. das berühmte Gedicht des Despoten Stefan Lazarević »Wort der Liebe« überliefert ist, enthält auch die apokryphen Prophezeiungen über die Geburt Christi. In der recht naiven Erzählung wird beschrieben, wie die Priesterin Evopija, nachdem sie vom Wasser der wundertätigen Quelle Kastalia getrunken hatte, Christi Geburt, Passion, Tod und Auferstehung vorausgesagt hatte.
Diese Kastalia erscheint in der christlichen Ikonographie schon im 6. Jahrhundert gemeinsam mit den Personifikationen der Paradiesflüsse auf einem justinianischen Mosaik in der Kyrenaika. Cfr. Die Miniatur der Gä im Sb als Wassernymphe mit Paradiesflüssen variiert zweifellos eine solche Personifikation aus der christlichen Antike. Die serbischen Klassizisten an der Schwelle des 15. Jahrhunderts lassen sich keineswegs auf die gelehrte Philologie und Archäologie der führenden Kenner der Antike in Konstantinopel ein - ihre naive Zuneigung zur alten Kunst und Literatur ist ziemlich schemenhaft und irgendwie aus dritter Hand entlehnt.

Ein unklar formulierter Eintrag, verfaßt vor 1630, auf fol. 1 r. wurde von drei erfahrenen Slavisten und Paläographen gedeutet, P. Syrku, Lj. Stojanović und V. Jagić. Ein Kyr Genadije, (Gennadios), ein Mönch, sagt darin, der Psalter des alten Herrn Despoten Georgije sei »im Ort Konstantinopel im Ort des Heiligen Berges« geschrieben worden. Aus den Unterschieden in der Schreibung »Va mesto c(a)rigr(a)da velikago Vь mesto s(ve)tie gori« lassen sich keine weitergehenden Schlüsse ziehen, etwa, daß »vь mesto«: »an Statt« und »va mesto«: in loco hieße. Ich möchte nicht daraus schließen, das Buch sei statt auf dem Heiligen Berg in »Carigrad Veliki« geschrieben. Zwei ältere Einträge auf demselben Blatt sind sicherlich aus dem 15. Jahrhundert, und man ersieht aus ihnen, daß das Buch dem Despoten Djuradj Branković gehört hatte. Die Beischrift des Gennadios ist also bedeutend später. Leider gibt es keinen Hinweis, woher Gennadios seine unklare Notiz hat, ob er aus einem älteren, verlorenen Eintrag in der HS schöpfte oder ob er selbst eine damals vorhandene mündliche Tradition niederschrieb.
Aus den Wasserzeichen wie aus Stil und Ikonographie der Miniaturen darf man schließen, daß die HS älter ist, in die Zeit Vuks Branković (f 1397) und Stefans Lazarević (1377-1427) gehört und aus den Jahren um 1396-1410 stammt. Die gleichzeitige Nennung Konstantinopels und des Athos in der Beischrift würde Angaben aus anderen serbischen MS der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts entsprechen. In der HS des Johannes Klimakos, die in Braničevo 1434 entstand, wird klar beschrieben, wie die »kritische Ausgabe« der serbischen Klimax-Übersetzung nach griechischen und serbischen Texten, die man »in Carigrad und auf dem Heiligen Berge Athos« (vь carigrade i vь svetei gore atona) aufgefunden hatte, vorbereitet wurde. In den Zeiten wandernder Dichter, Schreiber und Maler haben die serbischen Kulturzentren, die Großklöster, der Despotenhof und die Residenzen angesehener Adliger, viele gebildete Flüchtlinge, die auf fast denselben Wegen zirkulierten und sich an fast denselben Etappen aufhielten, mit Aufträgen versehen. Die Schicksale und Wanderungen von Künstlern, die vom Westen, aus dem adriatischen Küstenland in das Balkaninnere kamen, lassen sich seit dem Anfang des 13. Jahrhunderts verfolgen.
Um 1200 sind zwei Maler aus den dalmatinischen Städten in die lokale Kirchengeschichte als Anhänger der Bogomilen hineingeraten. Von ihnen erzählt Thomas Diaconus, sie seien aus Apulien gekommen und Bürger von Zadar gewesen. Ihre Häresie hätten sie in Split verbreitet und dann nach Bosnien übertragen. Thomas ist objektiv ihnen gegenüber und rühmt sie: »Erant pictores optimi et in auri fabrili arte satis exercitati; competenter etiam latine et sclavonice litterature habebant peritiam.. .« Maler aus Thessaloniki drangen schon gegen Ende des 13. Jahrhunderts tief in das nördliche Serbien ein, bis nach Arilje. Von den Erbauern und Malern Dečanis weiß man, daß sie aus Kotor gekommen sind. Cfr. Nach der Schlacht an der Marica (1371) beginnt eine neue Welle von flüchtenden Mönchen, Dichtern und Malern von Süd nach Nord, meist Reisende ohne Rückkehr. Die Übersiedlung einer angesehenen Malergruppe, die der Metropolit und Maler Jovan und sein Bruder Makarije anführten, läßt sich chronologisch von ihren Arbeiten im Eigenkloster Zrze bei Prilep, im Andreas-Kloster bei Skopje (1389) bis zu ihren Werken im Reich der Witwe des Fürsten Lazar, Milica, im Kloster Ljubostinja (1402-1405) verfolgen. Diesem fahrenden Volk gehörten auch die Maler des Sb an. Cfr. Ihre unterschiedlichen Stilrichtungen und ihre gemeinsame Verbundenheit mit der serbischen Malerei um 1400 lassen sich ziemlich leicht feststellen.
Es wurde schon gesagt, daß sich die Malerei des Sb in den allgemeinen Gang der serbischen Kunst des späten 14. Jahrhunderts einfügte. Ikonographie und Stil der Fresken in Lesnovo, Dečani und Mateič werden häufig als Vergleichsbeispiele und Vorbilder genannt. Die Ikonographie der lehrenden Kirchenväter im Narthex von Lesnovo ist auf den Fresken bedeutend reicher als auf der kleinen Miniatur. Dasselbe gilt für den besonderen Illustrationszyklus der letzten Psalmen in Lesnovo, der sich stark von den entsprechenden Bildern des Psalters unterscheidet, obgleich der Zyklus von Lesnovo offensichtlich nach Miniaturen geschaffen wurde. Die fragmentarisch erhaltenen, entsprechenden Zyklen aus dem 14. Jahrhundert im Relja-Turm des Rila-Klosters und in der Erlöser-Kirche des Dorfes Kučevište bei Skopje stehen denen aus Lesnovo nahe. Dasselbe Thema in der Kuppel der Friedhofskirche von Smederevo stammt wohl aus dem 16. Jahrhundert, es ist ikonographisch und stilistisch der Ikone gleichen Inhalts ähnlich , die sich heute in Skopje befindet. Cfr. Diese beiden späteren Denkmäler wiederholen teilweise Motive aus dem Sb.
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Münchner serbische Psalter, fol. 203 v. (Sb Nr. 3.3)

In dem umfangreichen Freskenbestand aus der Mitte des 14. Jahrhunderts in Dečani treten häufig Einzelheiten auf, die sich auf den Miniaturen des Sb wiederholen. Die Fresken vom guten Samariter (Dečani sind den Miniaturen Nr. 3.1, 3.2, 3.3 ikonographisch recht nahe, z.B. darin, daß Christus selbst den Verletzten auf den Schultern trägt. Das gilt auch für die Todesszenen des Reichen und des Armen (Sb Nr. 2.85) und die bereits angeführte Szene aus der Genesis: Gott erschafft die Pflanzenwelt auf der Erde (Petković, La peinture I, Abb. 96b) und die Personifikation der Erde im Psalter (Nr. 2.22). Interessant sind aber auch die Unterschiede zwischen Dečani und dem Psalter.
In der Szene der Apostel Petrus und Johannes aus der Apostelgeschichte (Dečani Taf. CCXXXIX) umschließt eine sorgfältig gemalte Architektur das Bild, eine Kirche, die in der Konstruktion dieselbe ist wie der Tempel auf Bild Nr. 2.66 - mit dem Unterschied, daß die Kirche auf dem Fresko byzantinische Formen zeigt, indes Davids erneuerter Tempel mehr an ein romano-gotisches Gebäude erinnert. Ohne eine Parallele in Dečani ließe sich ein Detail im Bild Nr. 2.121 -Jona wird in den Rachen des Ungeheuers geworfen - nicht erklären. In dieser Szene, die sich von derselben Szene in der frühchristlichen Sarkophagplastik nicht sehr entfernt, hängt unter der Mastspitze des Schiffes ein angebundener Korb (corbis in fastigio navis affixa, specula navis) - ähnlich wie an einem Schiff aus dem Demetrioszyklus in Dečani. In demselben Zyklus ist die Architektur mit kühn gezeichneten dekorativen Reliefs geschmückt, mit ganzen Figuren, Löwenmasken, stilisierten Profilen, kleinen Blättchen und Ranken, ähnlich wie auf Bild Nr. 2.16, 2.25 und passim. An den besser ausgeführten Ornamenten dieser Art erkennt man, besonders am Detail des Bildes Nr. 2.16 (Psalm 11.7.), daß sie aus der klassizistischen Malerei vielleicht hauptstädtischer Herkunft entnommen sind. Auf einem schlecht erhaltenen Fresko aus der Weißen Kirche (Bela Crkva) von Karan (um 1335) ist ein Brunnen mit Löwenmaske gemalt, die sehr an den Löwenkopf auf der erwähnten Miniatur erinnert (Petković I Abb. 84a). Einen Brunnen mit Löwenmaske, aus der Wasser strömt, beschreibt Manuel Philes in einem Gedicht. Diese »phantastischen monochromen Masken« treten öfter in der byzantinischen Wandmalerei seit den ersten Jahrzehnten des 14. Jahrhunderts auf. Später trifft man diese Dekoration viel in Bulgarien (Ivanovo) und Serbien (Ravanica) an.
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Münchner serbische Psalter, fol. 167 (Sb Nr. 2.88)

Häufig erinnern die schnell und nachlässig ausgeführten Fresken von Mateič in der Malweise an die Miniaturen des Sb. Die Mädchenköpfe auf dem Mariä-Geburts-Fresko sind in derselben Szene des Sb (Nr. 2.88) beinahe kopiert. In welchem Maße die Maler von Mateičin ihren Fresken Miniaturen als Vorlage benutzen, sieht man an dem Fresko der Enthauptung Johannes des Täufers. Die naivere und etwas leere Miniatur in T ist nach einem Vorbild kopiert, das auch der Künstler von Mateič benutzte. Auch die Ähnlichkeit zwischen Τ und der gleichzeitigen serbischen Buchmalerei ist unbemerkt geblieben, so in der Miniatur »Die Schergen teilen die Kleider Christi« die portalähnliche Architektur (Ščepkina/Dujčev Taf. XXXIII), die jener im Matthäusbild des Evangeliars von Kumanica ähnlich ist. Cfr.
Die serbischen Freskenmaler und die Miniaturisten in Τ entnahmen ihre Vorlagen oft demselben ikonographischcn Repertoire, wenn sie auch nicht in direkter Verbindung miteinander standen.
Die Illustration des 134. Psalms z. B. hängt ikonographisch völlig vom Fresko des 11.Kontakion des Akathistos in Dečani ab. Die Illustration desselben 11. Kontaktions im Τ (Sčepkina/Dujčev, Taf. LXI b) sieht indes anders aus. Diese geringe Freiheit der Variation ist für alle Akathistos-Illustrationen des 14. Jahrhunderts typisch. Die Vergleiche Millets zwischen dem Sb und den Fresken des Marko-Klosters beschränken sich auf Ähnlichkeiten ikonographischer Natur. Den schon angeführten Beobachtungen ließen sich noch weitere hinzufügen. Enge Parallelen zwischen dem Sb und der serbischen Wandmalerei aus den Jahren des Uberganges vom 14. zum 15. Jahrhundert finden sich auf den Fresken kleinerer Kirchen, die insgesamt noch nicht vollständig publiziert sind. Dieselbe unsorgfältige, schnelle Malweise der Miniaturen des Sb wiederholt sich in Nova Pavlica, in der Erlöserkirche von Prizren, in Koporin, in Ramaća und besonders in Rudenica. An dieser Stelle führe ich nur ein Beispiel aus der Erlöserkirche von Prizren vom Ende des 14. Jahrhunderts an. Ein ähnlich sitzender, besorgter Joseph, nur noch kleiner und noch schneller gemalt, wird im Sb im Akathistos-Zyklus (Nr. 4.7, 4.8, 4.9) wiederholt.
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Münchner serbische Psalter, fol. 214 (Sb Nr. 4.8)

Die ziemlich seltenen serbischen Miniaturen des 14. Jahrhunderts stehen nicht mit dem Sb in Verbindung. Das schöne Tetraevangeliar des Metropoliten Jakov aus Serres a. d. J. 1354 (Brit. Mus. No. Add. 39629) trägt eine Illumination anderen Charakters, in der das gemalte Porträt einer üppigen Ornamentik untergeordnet wird. Das Stifterbildnis des Metropoliten am Ende der HS läßt sich mit der Malerei des Künstlers des Sb nicht vergleichen. Ebenso gehört auch das bekannte Evangeliar des Patriarchen Sava aus Hilandar (1354-1375), das technisch vollkommenste serbische Buch des 14. Jahrhunderts, einem anderen Illuminationsstil an. Dieselbe konservative, aber prächtige Ornamentik haben einige serbische Pergamentcodices aus der Mitte des 14. Jahrhunderts. Cfr.
Die großen Ornamentfelder und zahlreichen Initialen dieser HSS setzen die Tradition jener prächtigen byzantinischen Ornamentik des 11. Jahrhunderts fort, die früh in die schönsten russischen HSS des 11. und 12. Jahrhunderts übertragen wurde, in das Ostromir-Evangeliar (1056-1057), den Sammelband Svjatoslavs von 1073, in das Mstislav-Evangeliar (um 1117) und den lediglich in Zinnober ausgeführten Schmuck des Evangeliars des Novgoroder Georgsklosters (1119-1128). Cfr. Ein spätes Echo dieser Illumination lebt im 14. Jahrhundert in den Schreibstuben der bulgarischen und serbischen Herrscher fort. Der Stil dieser Ornamentik ist in den schönsten bulgarischen und serbischen HSS bis hin zur Wende des 14. Jahrhunderts identisch. Es genügt ein Vergleich der Initialen in Τ und dem serbischen Psalter aus der Sammlung Sevastianov. Dieselbe Ähnlichkeit besteht zwischen dem großen Titel-Feld auf fol. 130 in Τ und seiner späteren Replik in den Homilien des Johannes Chrysostomos aus Hilandar (MS Nr. 400), die von Stefan Domestik, der um die Mitte des 15. Jahrhunderts für die Bibliothek der Familie Branković arbeitete, geschrieben wurde. Cfr.
Die Ornamente und das Porträt des Johannes Chrysostomos in dieser HS malte der Künstler Theodor, der auch das Tetraevangeliar Hilandar Nr. 58 schrieb und mit Ornamenten verzierte. Er kannte die Muster, aus denen auch die Miniatoren in Τ kopierten. Ein Mitarbeiter jenes Schreibers Stefan Domestik, der für den Hof von Smederevo arbeitete und wahrscheinlich domesticus cantorum war, ist sicherlich identisch mit dem gleichnamigen Theodor Zograf, der die Fresken von Rudenica malte. Im Archiv von Dubrovnik findet sich eine Angabe über einen jungen Maler Teodor Savin aus Κotor, der zwischen 1377 und 1385 das Malerhandwerk bei dem Meister Georg dem Griechen in Dubrovnik erlernte. Die Kirche von Rudenica wurde vor 1410 vom Adligen Vukašin und seiner Gattin Vukosava unter der Oberherrschaft Despot Stefans und seines Bruders Vuk errichtet. Cfr.
Die Angaben über Teodor, den Maler von Rudenica, über Teodor Savin aus Kotor und den Miniator der HS aus Hilandar lassen sich gut miteinander verbinden. Die Fresken von Rudenica entstehen im Umkreis von Adligen, die Stefan und Vuk, den Söhnen des Fürsten Lazar, nahestehen. Die Ornamentik des Chrysostomos von Hilandar ist jener des bulgarischen Hofscriptoriums in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts verpflichtet. Meister Teodor war sowohl Freskcnmalcr als auch Miniaturist und arbeitete gemeinsam mit einem Schreiber, der zugleich Hofsänger bei den Brankovići war. Zahlreiche Beischriften in den schönsten serbischen HS des späten 14. und frühen 15. Jahrhunderts erwähnen beide Söhne des Fürsten Lazar als Buchliebhaber, ja, Stefan wird als Bücherfreund sogar mit Ptolemaios, dem Gründer der Bibliothek von Alexandria, verglichen. Cfr. Noch immer ist die reich dokumentierte Untersuchung über die Literatur zur Zeit des Despoten Stefan Lazarević unübertroffen, die der Schüler V. Jagićs, Milan Georgijević verfaßt hat. Injener intensiven, beinahe hektischen literarischen und künstlerischen Tätigkeit, an der auch geflüchtete Bulgaren und Griechen teilnahmen, die sich der serbischen Sprache bedienten, ist der Sb entstanden. Einträge in den reicher illuminierten HSS des letzten Jahrhundertviertels informieren darüber, wie die »Bibliographen« als wandernde Meister in großen Klöstern Halt machen und dort arbeiten.
Gemeinsam mit Maurern und Steinmetzen haben sich wandernde Schreiber und Maler besonders an den Baustellen der großen neuen Klöster, in Dečani, im Erzengelkloster bei Prizren, in Ravanica und Manasija versammelt. Dank der lebendigen Zirkulation der Künstler wurden Werke homogener Qualität und homogenen Stils geschaffen, in denen sich gleichwohl, besonders in den Fresken, die individuellen Züge der besseren Künstler unterscheiden lassen.
Die serbischen Illuminatoren des späten 14. Jahrhunderts und des frühen 15. Jahrhunderts signieren ihre Werke selten. Bisher hat niemand versucht, die Malerei des Sb in verschiedene Künstlerhände zu teilen. Strzygowski spricht von nur einem Maler, von dem er annimmt, daß er zu Anfang des 15. Jahrhunderts in Hilandar arbeitete. Jedoch kann man - ohne sich auf überflüssige Hypothesen einzulassen - leicht feststellen, daß die Miniaturen des Sb von einer Künstlergruppe geschaffen wurden, aus der sich Einzelpcrsönlichkeiten im Stil der Zeichnung und im Kolorit scheiden lassen. Unsere bisherigen Erfahrungen lassen es aber nicht zu, jede Miniatur präzise einem bestimmten Künstler zuzuweisen.

Der Meister der Gä hatte den größten Anteil an der Illumination. Er war Maler kleiner Formate und zeichnete nachlässig kleine Figuren mit großen Köpfen und ungeschickten Bewegungen. Seine-klassizistischen Ambitionen befriedigte er vor allem damit, Personifikationen in die Szenen einzufügen - es sind die meisten in der ganzen Handschrift. Im übrigen ist er unfähig, klassischen Gewandstil nachzuahmen. Ziemlich geschickt vermag er in einigen Strichen Einzelheiten der Kleidung und Charakteristiken der Physiognomie anzudeuten. Seine Kompositionen sind auf eng zusammengedrängte Reihen zahlreicher Teilnehmer reduziert; sein lebhaftes Kolorit mit effektvollen Kontrasten und Akzenten wirkt immer frisch und sicher. Meisterhaft versteht er es, die Idee einer Miniaturszene auszudrücken. Die Konzentration auf Inhalt und Aussehen weist ihn als erfahrenen Buchmaler aus. Von ihm stammen die Psalmen, fast alle Oden, der ganze Akathistos und die Troparien am Schluß. Seine Malweise ist besonders deutlich in den Miniaturen Nr. 2.22, 2.33, 2.51, 2.69, 2.90, 2.96, 2.102, 2.104, 2.116, 4.14 — ohne Zweifel sind auch einige Miniaturen größeren Formats von ihm, etwa Nr. 1.1 und ihr ähnliche.
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Münchner serbische Psalter, fol. 131 v.(Sb Nr. 2.69)

Als schwacher Zeichner und unklarer Kolorist ohne höhere künstlerische Kultur sondert sich ein Helfer des vorgenannten Künstlers ab. Er ist Autor des größeren Teils der Christus- und Marien-feste (Nr. 2.31, 2.32, 2.47, 2.88). Seine Handschrift und seine Formate sind bedeutend größer, man hat den Eindruck, als habe er talentlos Fresken und Ikonen verkleinert. Seine besten Miniaturen stellen recht geistreiche Varianten und Travestien gewohnter ikonographischer Muster dar. Er arbeitet die Gruppe der eingeschlafenen Jünger von Gethsemane in die alttcstamentarische Szene der Tötung der Erstgeburt ein (Nr. 2.76) oder das Abendmahl in das Mahl der Juden in der Wüste (Nr. 2.58). Die Illustration von Psalm 2.2 setzt er aus Teilen zusammen: aus dem Verrat des Judas, dem Gericht über Christus und seiner Verspottung (Nr. 2.10). Am schwächsten wirkt er, wenn er eine komplizierte Ikonen-Ikonographie in das gedrängte Format der Miniatur zu überführen sucht. So wirkt die Szene der Koimesis (Nr. 2.46) überfüllt und die Miniatur des Wucherers (Nr. 2.17) als verarmte und deformierte Version der Berufung Matthäi, wie sie im Zyklus des Erdenlebens Christi, z.B. in Dečani (Dečani Taf. CXCIII) auftritt.
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Münchner serbische Psalter, fol. 9 v. (Sb Nr. 2.10)

Seiner Malerei völlig entgegengesetzt ist das Schaffen des erfahrenen Meisters der Via crucis. Dessen Miniaturen haben das größtmögliche Format, das die HS des Sb zuläßt, vgl. die Bilder Nr. 2.49, 2.54, 2.66, 2.67. Erläßt sich von Vorbildern aus der byzantinischen Malerei des 10. Jahrhunderts inspirieren und übernimmt Einzelheiten aus der frühchristlichen Kunst. Der Durchzug durch das Rote Meer (Nr. 2.55) stellt eine routinierte Variante des alten Vorbildes im Geist des paläologischen Klassizismus dar. Die Tiefe seiner Figurenkompositionen und Räume wird geschickt durch allmähliches Verkleinern der Gestalten, die sich vom Vordergrund entfernen, erreicht. Die Proportionen des menschlichen Körpers, die Gesichtstypen, die Gewanddrapierungen - alles ist pedantisch durchstudiert, so daß man angesichts der allzu ausgewogenen Harmonie der Modellierung, der Beleuchtung und des Kolorits bereits von klassizistischer Kühle sprechen kann.
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Münchner serbische Psalter, fol. 136 (Sb Nr. 2.75)

Dem Klassizisten am nächsten steht der Maler der Kriege und Hofszenen, der Illustrator der erniedrigenden Erlebnisse Davids in der Stadt Gath. Dieser Meister zeigt die anziehenden Werte jener Malerei der Paläologen, die gegen Ende des 14. Jahrhunderts plötzlich zu einem lyrischen Stimmungskolorit überging. Er, der zweifellos am meisten verfeinert ist unter den Künstlern des Sb, läßt sich von Ikonen inspirieren. Seine leichte, vereinfachte Zeichnung unterwirft er den überaus musikalischen Akkorden der Farbe. Er stilisiert die Bewegungen und drängt alles in eine lichte Chromatik zusammen, die von selbst aus der gemalten Fläche strahlt und nach einem besonderen Adel der Vision strebt. In Themen, die dramatische Szenen erfordern, arbeitet dieser Künstler die darzustellenden Situationen dermaßen um, daß sie unverständlich werden. Cfr. Dieser Meister hat am meisten Gemeinsamkeiten mit dem Zografen Teodor aus Rudenica. Die Märtyrerköpfe aus Rudenica wirken in Typus und Malweise wie Vergrößerungen ähnlicher Köpfe auf den Bildern Nr. 2.74 und 2.75. Auch die kleine, kostbare Miniatur »Die Erde verschlingt Dathan« (Nr. 2.78) ist wohl von demselben Maler.
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Münchner serbische Psalter, fol. 38 (Sb Nr. 2.24)

Recht selten sind Miniaturen, die den Fresken in der Kirche von Ravanica nahestehen. Sie malte ein Künstler, der dem Meister der Via crucis folgte, vielleicht einer seiner Helfer. Der Malerei von Ravanica ähnelt besonders das Bild am Beginn der zweiten Hälfte des Psalters, mit dem breiten Ornamentband und den dekorativen Buchstaben auf Bild Nr. 2.54. Diese Malweise hat schlanke große Figuren mit kleinen Köpfen, so daß die menschliche Gestalt eine Höhe von acht bis achteinhalb Kopflängen erreicht. Die symmetrischen Kompositionen mit betonten Vertikalen reichen recht weit in den Tiefenraum hinein, allerdings immer auf dieselbe Weise, während die größere Mittelfigur auf der Grundlinie der Szene steht. Den Fresken von Ravanica gleichen der Gewandschnitt, die glatte Modellierung und die harten, blitzenden Weißhöhungen am meisten. Eine gewisse dekorative Art und strenge Symmetrie, z. B. im Bild Nr. 2.24 oder Nr. 2.30, erinnert ganz besonders an Freskenmalerei. Diese wohlgeordneten Gruppen, mit immer den gleichen, sorgfältig gemalten Gewandfalten, erinnern an die zahlreichen Teilnehmer auf den großen Fresken des Palmsonntags und der Brotvermehrung in Ravanica.
An die komplizierte, reich gezeichnete und hart modellierte Draperie der monumentalen Apostelgestalten in der Andreas-Kirche bei Skopje gemahnen die Gewänder Samuels undjesajas auf Bild Nr. 2.2, einer Miniatur, die ich keinem der genannten anonymen Meister zuschreiben möchte. Alle die angeführten Parallelen zwischen den Miniaturen des Sb und den Fresken in Rudenica, Ravanica und der Andreas-Kirche beruhen auf der Bildkonzeption und besonders auf koloritisehen Gemeinsamkeiten.
Dennoch mag ich die Hypothese nicht aussprechen, die namentlich bekannten Freskenmaler wie Konstantin aus Ravanica, Jovan und seine Gehilfen aus der Andreas-Kirche und Teodor aus Rudenica hätten die Miniaturen des Sb gemalt. Wenn auch die Bindung der Meister des Sb an die Traditionen und Strömungen der serbischen Malerei offensichtlich ist und sich bis in die Einzelheiten verfolgen läßt, so bleiben doch noch einige Fragen weiterhin offen. Ich glaube nicht, daß eine technisch vollkommenere Untersuchung des Papiers auf die schon jetzt bestimmte Datierung in die Jahre zwischen 1396 und 1410 Rückwirkungen hätte. Für diesen Zeitraum sprechen historische Tatsachen, die Ikonographie und der Stil der Miniaturen. Früher war ich geneigt, die Künstler des Sb allein in der Umgebung Skopjes zu suchen. Jedoch weist die nähere Untersuchung des Vergleichmaterials heute eher auf einen Entstehungsort in Gegenden, die die Familien Lazarević und Branković in den Jahren der Wende des 14. und 15. Jahrhunderts beherrschten. Als sozialer Bestimmungsort käme allein das Milieu von Mäzenen in Frage, die nicht dem geistlichen Stand angehörten.

Die Sonderstellung des Sb ist sicherlich nicht zufällig. Zweifellos ist er das Werk einer episodenhaften Kunst und eines komplizierten und kühnen Experiments. Der vorherrschende Typ des illuminierten Psalters in Serbien nach der Schlacht auf dem Amselfeld war sicherlich der Psalter aus der Sammlung Sevastianov und seine Varianten . Der verbrannte Belgrader Psalter des Patriarchen Pajsije, der zwischen 1627 und 1630 entstand, ist bereits die Leistung eines Liebhabers von Antiquaria in einer Zeit, da die serbische illuminierte Handschrift als Gattung ausstarb. Von nahem besehen, sprechen die Miniaturen des Sb mit Bestimmtheit gleichwohl nur von der Ausnahmestellung seiner Malerei.
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Münchner serbische Psalter, fol. 185 (Sb Nr. 2.102)

Die letzte Illustration der Psalmen (Nr. 2.102) hat seitjeherjene angezogen, die den Sb etwas sorgfältiger durchblätterten. In der Paläologenkunst, besonders in der serbischen Malerei, gibt es tatsächlich Beispiele dafür, daß Porträts in Hymnenillustrationen hineingenommen wurden. Auf dem Fresko des Weihnachts-Sticharions in Ziča tritt König Milutin mit Höflingen und Erzbischof Sava III. mit geistlicher Begleitung auf. Cfr. In der Schluß-Szene des Akathistos von Dečani wird Zar Dušan mit Frau und Sohn gezeigt, und im Akathistos des Marko-Klosters erscheint der junge Zar Uroš. Strzygowski hat die Illustration »Alles was Odem hat« als Gruppenporträt aufgefaßt und gemeint, auf der Miniatur seien Mitglieder der Nemanjidendynastie dargestellt. Als ich den Sb in spätere Zeit, nach 1389, datierte, versuchte ich, die Herrscherbilder mit den Söhnen des Fürsten Lazars, Stefan und Vuk, in Verbindung zu bringen. Die symmetrische Gruppe, die sich Christus im Himmelssegment zuwendet, stellt offensichtlich den Chor von Repräsentanten, die nach einer Hierarchie aufgestellt sind, dar, wobei der höfische Charakter der Szene eindeutig ist. Beide Prozessionen links und rechts werden von zwei irdischen Herrschern angeführt, hinter ihnen stehen zwei Vertreter des hohen Klerus, hinter diesen wieder zwei Philosophen - die beiden jungen Frauen hinter ihnen scheinen Musen zu sein, die sie inspirieren. Den Abschluß bilden beiderseits die Personifikationen des Lichtes und der Nacht, die einzigen, die, wie Christus, namentlich gekennzeichnet sind. Züge einer weltlichen Frömmigkeit treten hervor.
Die Gruppen werden von Herrschern angeführt, hinter denen die Bischöfe demütig ihre Häupter neigen. Auf Christus zeigen mit weiten Gesten die feierlich gekleideten Gelehrten; die Musen stützen sich eng auf die Philosophen, und die fackeltragenden Personifikationen wirken mit ihren entblößten Büsten nicht übermäßig kirchlich.

Ähnliche antike Fackelträger wiederholen sich besonders häufig in der Mithrasikonographie. Cautes und Cautopates, die Jünglinge mit der erhobenen oder gesenkten Fackel, pflegen als Wächter an den Eingängen zu Mithräen zu stehen, an gleicher Stelle findet man Licht und Nacht mit Fackeln am Portal zum Exonarthex der Kirche »Gottesmutter von Ljeviša« in Prizren. Dieselben Jungfrauen schließen auf Bild Nr. 2.102 den langen Zyklus der Psalterillustrationen des Sb ab. Das Abschlußbild des Psalters ist in seiner feierlichen und dekorativen Art augenscheinlich zugleich der Ausdruck eines Gedankens aus dem Johannesevangelium. Erzbischof Danilo II, Schriftsteller und Kunstkenner, hat in seine Biographie des serbischen Erzbischofs Joanikije die Worte Christi (nach Joh. 12.35) eingefügt: »Noch kurze Zeit ist das Licht unter euch. Wandelt, solange ihr das Licht habt, damit nicht die Finsternis euch überfällt«. Die jungfrauen mit den Fackeln im Sb scheinen diese unausweichlich kurze Zeitdauer zwischen Licht und Nacht auszudrücken, derer sich auch die Teilnehmer der glaubensergebenen und erlesenen Prozessionen erinnern. Das Abschlußbild des Psalters erinnert unverkennbar an ein gelehrtes und frommes Credo, in dem die Werte einer Gesellschaft, die die Macht und den Glauben des Christentums, seinen Sinn und seine Schönheit ehrte, pedantisch klassifiziert sind.

Die Untrennbarkeit von Inhalt und Form in der Malerei des Sb äußert sich besonders im Reichtum an Assoziationen. Die Illustrationsweise ist häufig von ideellen und formalen Elementen überlastet, so daß ein ziemlich routinierter horror vacui die kleinen Formate der Miniaturen füllt. Sie sind die Schöpfungen einer nervösen Malerei, die an der Komplexität einer Erfahrung Gefallen findet, die sich in der schnellen Mitteilung ohne formale Vollendung äußert. Man kann sich schwer des Eindrucks erwehren, das Maleratelier eines noch nicht nachgewiesenen serbischen Mäzens habe sich aus Leuten zusammengesetzt, die isoliert, und künstlerisch von Reminiszenzen belastet, Eile hatten, Botschaften einer noch in ihnen lebendigen Tradition weiterzugeben. Nach ihren Bildern zu urteilen, waren sie erfahrene Meister, die sich in der Provinz verloren hatten. Man sieht, daß die Malerei des Sb in der Zeit eines fruchtbaren Chaos, in den Jahren nach dem Zerfall des serbischen Zarenreichs und seiner Kunst und vor der Formierung einer neuen, der letzten Hofschule der serbischen Despoten, entstand. Diese hat dann schon in den ersten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts in der Geschliffenheit eines müden Glanzes geleuchtet, ihr gehörte der letzte große und namentlich bekannte serbische Miniaturmaler an, Meister Radoslav, der die Evangelistenporträts im serbischen Evangeliar der Leningrader Öffentlichen Bibliothek gemalt hat.