DIE SERBISCHE IKONENMALEREI VOM 12. JAHRHUNDERT BIS ZUM JAHRE 1459

von Svetozar Radojčić

Serbische mittelalterliche Ikonen werden in der Geschichtsliteratur seit Beginn des 17. Jahrhunderts erwähnt. Cf. Ihnen, und besonders den serbischen in Italien und am Berge Athos befindlichen Ikonen, galt auch in späteren Zeiten, im Laufe des 19. Jahrhunderts, das zeitweilige Interesse der Geschichtsforscher. In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, als man die Erforschung der alten serbischen Kunst intensiv zu betreiben begann, blieb die Ikonenmalerei fast unbeachtet. Die Hauptforscher der alten serbischen Kunst, G. Millet, V. Petković und N. Okunev, wurden dermaßen von der Fülle der erhaltenen monumentalen Wandmalerei fasziniert, daß sie gar nicht dazu kamen, vernachlässigte Klosterschatzkammern zu besichtigen, die wohl neben einer Menge später Ikonen ohne größeren Wert auch kostbare, aus dem 13. und 14. Jahrhundert stammende Exemplare beherbergten.
Die Erforschung der serbischen Ikonenmalerei als eines Ganzen wird durch manche ungünstige Umstände erschwert. Gute Ikonenaufnahmen sind selten; die von Liebhabern aus der Provinz verfaßten Beschreibungen sind meistens unzuverlässig; außerdem sind serbische Ikonen in verschiedenen Kirchenschatzkammern, Privatsammlungen und Museen von Spanien und Frankreich bis zur Sowjetunion verstreut.
Eine Schwierigkeit tritt dabei besonders hervor. Bisherige Forschungen haben nämlich nur eine ungenügende Anzahl von Kriterien geliefert, auf Grund deren man, sei es stilistische, sei es ikonographische Eigenheiten serbischer Ikonen genau feststellen könnte. N. P. Kondakov machte den Versuch, serbische Ikonen von griechischen zu scheiden, wobei vornehmlich der Madonnentypus maßgebend war; doch war das serbische Material — sogar in den letzten Jahren seines Lebens — viel zu wenig bekannt, und die ersten diesbezüglichen Schlußfolgerungen erwiesen sich daher nachträglich allesamt als verfrüht. Cf. Die Zahl jener Ikonen, von denen sich mit Genauigkeit behaupten läßt, daß sie entweder für serbische Auftraggeber oder von serbischen Meistern verfertigt wurden, ist viel zu bescheiden, um die Entwicklung der Ikonenmalerei im mittelalterlichen Serbien in der Zeit vom 12. Jahrhundert bis zum Fall Smederevos (1459) nur auf Grund derselben verfolgen zu können. Das zurzeit fragmentarisch bekannte Material kann nur auf eine Weise mit genügender Sicherheit klassifiziert und datiert werden, d. h. wenn man die geringe Zahl erhaltener Ikonen dem reichen, von der Wandmalerei gebotenen Vergleichsmaterial gegenüberstellt. Dieser Methode haben sich auch die Verfasser der besten modernen Studien über serbische Ikonen, N. Bjelajev, A. Grabar und F. Volbach, bedient.
Im dalmatinischen Küstenlande werden die Ikonen schon in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts erwähnt. Im Jahre 1042 spendete der Banus Stefan, der kaiserliche Protospatharios, dem St. Chrysogonoskloster zu Zadar nebst vollständigem Inventar auch „iconas quinque: unam de argento . . .“. Cf. Einzelne Stellen aus den ältesten serbischen Lebensgeschichten der Heiligen, sowie denjenigen der Herrscher legen die Vermutung nahe, der Ikonenkult sei auf serbischem Gebiet noch in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts — wahrscheinlich unter dem Einfluß der Bogomilenauffassungen — nicht entwickelt gewesen. Cf. Darauf könnte man vornehmlich aus den vom hl. Sava als neueingesetztem Erzbischof der serbischen autokephalen Kirche erteilten Belehrungen schließen, worin hervorgehoben wird, daß das Christusbild, das Muttergottesbild und die Bilder aller übrigen Heiligen „mit geistigen, zu der wahren Erscheinung der Dargestellten emporgerichteten Augen zu verehren sind“. Cf. Seine Anhänglichkeit an den Ikonenkult betonend, verflucht der hl. Sava alle diejenigen, „welche die heiligen Ikonen verwerfen, dieselben weder malen noch zu ihnen beten“. Cf.
Um die Jahre 1180—1200, als die Grundlagen der serbischen staatlichen und kirchlichen Unabhängigkeit sowie die der serbischen mittelalterlichen Literatur und Monumentalkunst geschaffen wurden, stoßen wir sowohl auf die ersten in serbischen Quellen enthaltenen Kunden von Ikonen als auch auf die ersten bis heute erhaltenen Ikonen in serbischen Kirchen. Eine ausführliche Übersicht auf alte serbische Ikonen bezüglicher Geschichtsquellen gab der bekannte serbische Geschichtsforscher St. Stanojević. Ein kürzerer Aufsatz über die Ikonen der griechischen Maler in Jugoslawien wurde unlängst von Professor L. Mirković veröffentlicht, der sich aber mehr mit späteren, aus dem 16., 17. und 18. Jahrhundert stammenden Arbeiten befaßt.
Die ersten großen von den Nemanjiden errichteten Klosterkirchen waren seit ihrer Gründung Mittelpunkte eines eifrigen Ikonenkults. Das Kloster Chilandar war der Mutter-Gottes Hodegetria (ἡ Ὁδηγέτρια), das Kloster Studenica der Mutter-Gottes Evergetis (ἡ Εὐεργέτις) geweiht. Dieselbe Sitte wurde auch später, bis zum 15. Jahrhundert, beobachtet. Ivan Crnojević, der Fürst von Zeta, weihte die Cetinjeer Klosterkirche der wundertätigen Mutter-Gottes von Loreto. Cf.
Im mittelalterlichen Serbien wurden einzelne Kirchen oft als Wohnung des Kultbildes aufgefaßt, nach dem sie auch benannt wurden, wie z. Β. die Kirche der Dreihändigen Mutter-Gottes zu Skoplje, das Kloster „Veljusa“ bei Strumica nach der Ikone der Mutter-Gottes der Rührung (Elëusa) sowie das Kloster Zaum nach der Ikone der Mutter-Gottes von Zahum usw. Die Heiligkeit der Ikone wurde so hoch gehalten, daß sie in der Regel überhaupt nicht von ihrer Stelle gerückt werden durfte. Das Chilandarer Typikon enthält in seinem Kapitel 21 das strenge Verbot des Hinaustragens der Ikonen aus dem Kloster. Nur im Falle eines Brandes oder eines Erdbebens durften die Ikonen hinausgetragen werden, und zwar nicht auf Grund des eigenmächtigen Entschlusses des Hegumenos, sondern nur „unter Zustimmung der übrigen älteren Brüder“. In der im Studenicaer Typikon gegebenen Beschreibung der Archimandriten-einsetzung wird das Bild der Mutter-Gottes Evergetis (der Wohltätigkeit) besonders hervorgehoben; der Stab des neuen Hegumenos wird vorerst zu ihren Füßen gelegt und erst dann wird er dem neueingesetzten Archimandriten vom Herrscher „wie aus den Händen der Aller heiligsten selber“ übergeben. Cf.
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Mosaikikone der Mutter-Gottes Hodegetria, Chilandar, Ende des 12. Jh.

Es ist wohl kein Zufall, daß im Kloster Chilandar, das der Mutter-Gottes Hodegetria geweiht ist, die älteste erhaltene Ikone die Mutter-Gottes Hodegetria darstellt. Vom Ende des 19. Jahrhunderts wird die Chilandarer Mosaikikone der Mutter-Gottes Hodegetria in der Literatur regelmäßig als eine der bekanntesten Athosikonen bezeichnet. Auch V. N. Lazarev führt sie in seiner „Geschichte der byzantinischen Malerei" an, wobei er sie zu der dem 13. Jahrhundert entstammenden Gruppe von Mosaikikonen zählt; in der Anmerkung fügt Lazarev hinzu, die Ikone sei wahrscheinlich am Berge Athos entstanden. Bis zum Jahre 1953 befand sich die Ikone in einem ganz sohlechten Zustande. Durch Ruß sehr verdunkelt, von Kerzenwachs beträufelt, schien sie ärger beschädigt zu sein, als es der Wirklichkeit entsprach. Unlängst gereinigt, bietet die Chilandarer Hodegetria jetzt bedeutend zuverlässigere Anhaltspunkte sowohl für ihre Datierung, als auch für die Bestimmung der Herkunft des Meisters. Die Ikone hat in vollem Maße das Gepräge der monumentalen Wandmalerei behalten. Die Modellierungsart des Gesichts der Mutter-Gottes ist bei der Chilandarer Hodegetria mit fast denselben Mitteln wie am Wandmosaik der Mutter-Gottes aus der ravennatischen Ursiana (jetzt im Metropolitanmuseum) sowie am Apsismosaik in der Kirche San Giusto in Triest ausgeführt. Das System der Steinchenanordnung — der scharfgezogene dunkle, breite Streifen an der linken Gesichtshälfte, das helle Kinnsegment, der asymmetrische rote Fleck an der rechten Wange der Mutter-Gottes, das dunklere Dreieck zwischen den Augenbrauen, — alles ist am Gesicht der Chilandarer sowie an demjenigen der ravennatischen Mutter-Gottes hinsichtlich der Technik auf dieselbe Weise ausgeführt ; aber die Zeichnung in Ravenna ist viel weicher und der Gesichtstypus bedeutend voller. Im Ganzen genommen weist die Chilandarer Hodegetria manche verwandte Züge mit der großen Hodegetria in der Kathedrale zu Torcello auf. Der Gegensatz zwischen der streng frontalen Stellung der Mutter-Gottes und der bedeutend freieren Haltung des Kindes in Chilandar ist fast auf dieselbe Weise wie in Torcello gelöst. Der Kopf des Kindes auf der Chilandarer Ikone erinnert ziemlich stark an einen Kopf in der Darstellung des jüngsten Gerichts in Torcello.
Die gereinigte Mosaikikone der Chilandarer Hodegetria ist am meisten den monumentalen, dem 12. Jahrhundert entstammenden Wandmosaiken aus dem venezianischen Gebiet (im weiteren Sinne) ähnlich und dürfte vielleicht einem der provinziellen (dalmatinischen?) Meister zugeschrieben werden, die etwa in den letzten Jahren des 12. Jahrhunderts im Auftrage Nemanjas oder seines Sohnes, des hl. Sava, gearbeitet haben mochten.
Die ältesten Ikonen im Kloster Studenica, in der Muttergotteskirche, sind nicht im Original erhalten. Doch sind auf Studenicaer, dem 13. Jahrhundert entstammenden Fresken zwei alte Studenicaer Ikonen: die Mutter-Gottes von Studenica und die Mutter-Gottes Fürbitterin, ziemlich genau reproduziert worden. In der Muttergotteskirche, im Raum unter der Kuppel, ist an der Ostseite des südwestlichen Pfeilers eine etwas verblichene, als „Mutter-Gottes von Studenica“ klar signierte Freske zu sehen; sie erinnert stark an die Mutter-Gottes in der Südgalerie der Sophienkirche zu Konstantinopel. Die Mutter-Gottes von Studenica ist im Jahre 1209, zweifellos nach, einer damals in dem Kloster befindlichen Ikone, gemalt worden. Cf.
Wie eine andere Studenicaer, aus Chilandar stammende Ikone der Mutter-Gottes aussah, zeigen uns zwei, die Translation von Nemanjas Gebeinen vom Berge Athos nach Serbien darstellende Fresken. Die ältere, den ersten Jahrzehnten des 13. Jahrhunderts entstammende, in der südlichen Kapelle des Studenicaer Narthex befindliche Freske der Translation Neinanjas wurde gegen das Ende des 13. Jahrhunderts in der südlichen Kapelle des Narthex von Sopoćani nachgebildet. Auf beiden Fresken ist dieselbe Szene dargestellt: ein großes Muttergottesbild tragende Studenicaer Mönche schreiten im Festzug einher und empfangen die Gebeine des Gründers ihres Klosters. Cf. In beiden Fällen handelt es sich um die Ikone der Mutter-Gottes Fürbitterin, mit einer Pergamentrolle in der Hand, worauf eine an ihren Sohn gerichtete, mit folgenden Worten beginnende Fürbitte geschrieben ist: „Nimm die Fürbitte deiner Mutter an . . .“ Cf.
Die Identifizierung sowie die Datierung dieser Ikone wird durch eine Stelle in der von seinem Sohne, dem König Stefan, verfaßten Lebensbeschreibung des Stefan Nemanja erleichtert. In der Beschreibung des Todes Nemanjas wird berichtet, wie der Sterbende in seiner letzten Stunde seinen jüngsten Sohn, den hl. Sava, bat, ihm die Ikone der Mutter-Gottes zu bringen, um „in ihre Hände seine Seele“ zu legen. Cf. Darf man aber daraus schließen, daß die in den Darstellungen der Translation Nemanjas vorkommende Ikone wirklich die von Nemanja in seiner Todesstunde verlangte Ikone ist? Meiner Meinung nach hat diese Annahme die größte Wahrscheinlichkeit für sich.
Die der ganzen Translationsszene innewohnende Grundidee beruht offensichtlich auf der Mittelfigur der Komposition, nämlich auf der Ikone der Mutter-Gottes Fürbitterin. Dieselbe Mutter-Gottes, die die Seele des Nemanja in Chilandar aufgenommen hatte, nimmt auch Nemanjas geheiligte Gebeine in Studenica auf. Natürlich ist es nun schwer zu bestimmen, in welchem Maße diese Fresko-Kopie dem Original entspricht. Aus dem auf der Pergamentrolle geschriebenen serbischen Gebettext dürfte man wohl schließen, das Original der Ikone der Mutter-Gottes Fürbitterin sei die Arbeit eines serbischen Meisters gewesen.
Über die Herkunft der in diesen frühen Zeiten der alten serbischen Kunst tätigen Ikonenmaler sind nur wenige Daten vorhanden. An einer Stelle wird von Theodosius erwähnt, daß der hl. Sava für das Kloster Philokaion (τοῦ Φιλοκάλου) Ikonen bei den „erfahrensten Malern“ in Thessalonike bestellt hatte Cf. ; es ist schwer zu entscheiden, ob jene Thessaloniker griechischer oder slawischer Herkunft waren, — immerhin steht es fest, daß diese Ikonen in stilistischer Hinsicht zur Kunst Thessalonikes im späten 12. und frühen 13. Jahrhundert gehören mußten.
Die älteste erhaltene Ikone, die einem serbischen Meister zugeschrieben werden dürfte, ist in der Kathedrale zu Laon zu sehen.
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Ikone des Schweißtuchbildes, Laon, Ende des 12. Jh. ; Abb. 3 Freske des Schweiß tuchbildes, Studenica, Muttergotteskirche, Ende des 12. Jh.

Die verehrte wundertätige Ikone „La Sainte Face de Laon“ wurde von Α. Ν. Grabar eingehend untersucht; dieses vollkommen erhaltene Exemplar datierte er in die Übergangsjahre vom 12. zum 13. Jahrhundert und zählte es zu den Kunstdenkmälern des Balkans, in der Annahme, daß diese Arbeit aller Wahrscheinlichkeit nach serbischen Ursprungs sein dürfte. Die neuentdeckten Fresken in der Muttergotteskirche in Studenica sprechen zugunsten der Grabar'schen Ansicht. Die in den letzten Jahren des 12. Jahrhunderts gemalte, das Schweißtuchbild Christi (Mandylion) darstellende Freske, ist als die derzeit der Ikone in Laon nächststehende Parallele zu betrachten. Cf. Der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts entstammt die — jetzt abhanden gekommene — gemalte Staurothek des Königs Vladislav. Aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts sind mehrere prächtige Ikonen auf uns gekommen, von denen sich einige an den Stil zeitgenössischer Fresken anlehnen
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Ikone des Schweißtuchbildes, Laon, Ende des 12. Jh.

Um die Jahre 1260—1265 entstanden zwei außergewöhnliche, große Chilandarer Ikonen, das Christusbild und das Muttergottesbild, die jetzt im Klostermuseum aufbewahrt werden. Das auf einer mit Leinwand überzogenen Tafel gemalte Christusbild (0,90x 1,20m; Inv. Nr. 231) ist ziemlich gut erhalten. Sein Seitenstück, das völlig zerbrochene Muttergottesbild, war gewiß von demselben Format wie das Christusbild; es war nur mehr ein nicht inventarisierter Haufe von Bruchstücken, bevor es im Jahre 1953, im letzten Augenblick, gerettet wurde. (
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Muttergottesbiid, Hilandar, zweite Haltte des 13. Jh.

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Muttergottes aus dem Donatorenbild, Freske, Sopoćani, zweite Hälfte des 13. Jh.

Dieses Chilandarer Muttergottesbild ist in stilistischer Hinsicht der auf dem Donatorenbild in Sopoćani befindlichen Freske der Mutter-Gottes höchst verwandt. Obwohl bemerkenswerte Unterschiede zwischen der Freske in Sopoćani und der Chilandarer Ikone sowohl in Bezug auf den ikonographischen Gehalt wie auf den Muttergottestypus selbst nicht zu verkennen sind, ist doch sowohl das Kolorit als auch die Malweise fast identisch. Miteinander verglichen legen diese zwei, sich durch gleich hohe künstlerische Qualitäten auszeichnenden Köpfe die Art und Weise nahe, auf welche die Umwandlungen des byzantinischen — in Chilandar meisterhaft wiedergegebenen — Vorbildes im Innern Serbiens vor sich gingen. Der in höherem Maße lebensnahe Kopf der Mutter-Gottes von Sopoćani, monumental und natürlich zugleich, neigt mehr zum Realismus. Die Neigung zum Realismus tritt in noch höherem Maße beim Chilandarer Christusbild (der Erlöser od. Seelenerlöser — Psychosostres ?) hervor, das sich demnach mehr als das Muttergottesbild, an die serbische Kunst anzulehnen schein.
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Ikone Jesu des Erlösers od. Seelenerlösers, Chilandar, zweite Hälfte des 13. Jh.

Der Gesamteindruck des Chilandarer Jesus erinnert ziemlich stark an den Ochrider Jesus den Seelenerlöser , mit dem Unterschiede, daß die Chilandarer Ikone doch älter ist. Eine ganz besondere Stellung unter den serbischen, der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts entstammenden Ikonen nimmt eine als Freskokopie erhaltene, die Mutter-Gottes und Jesus, den Ernährer (Krmitelj = Nutritor) darstellende, ungefähr aus der Zeit um 1270 stammende Ikone in der Kathedrale zu Prizren ein. Bei flüchtiger Betrachtung erscheint diese Ikone florentinischen Arbeiten aus derselben Zeit ähnlich. Cf.
Die letzten, in Kostur (Kastoria) und am Prespasee (Kurbinovo, 12. Jahrhundert) gemachten Entdeckungen mahnen aber zur Vorsicht. Gewisse Züge — sowohl in der Zeichnung als auch in der Gesamtkonzeption des Bildes, — die wohl bei voreiligen Schlüssen als Italianismen aufgefaßt werden könnten, zeigen sich jetzt, in ihren ganz frühen Formen, in der mazedonischen Malerei des 11. und des 12. Jahrhunderts. Der Kopf der Prizrener Mutter-Gottes dürfte in stilistischer Hinsicht auch aus der sehr ähnlichen Kopfzeichnung auf den Fresken der Kosturer Panagia Mavriotissa abgeleitet werden können.
Die Beweglichkeit und die Natürlichkeit des auf mazedonischen Fresken des 11. und 12. Jahrhunderts dargestellten Jesusknaben ist offenbar älteren Datums als ähnliche italienische Lösungen. Ein ausschlaggebendes Argument gegen die den italienischen Ursprung des lebhaften Jesusknaben mit entblößten Beinen vertretende Theorie ergab sich kürzlich, als man die stark beschädigte Ikone-Freske (Maria mit dem Kinde) in der Sophienkirche zu Ochrid, in der jüngeren Schicht aus dem 12. Jahrhundert entdeckte. Auch bei Ausschaltung der Frage der Rekonstruktion des oberen, verlorengegangenen Teiles, bleibt doch das erhaltene Fragment: die entblößten Beine des Jesusknaben sowie die kindliche Bewegung der sich auf den Arm der Mutter stützenden Hand als eine gesicherte Tatsache bestehen. Cf.
Als ein Beispiel der neuen Darstellungsweise der Mutter mit dem Kinde kann eine Freske dienen, die sich in der Apsis des aus dem 12. Jahrhundert stammenden Dorfkirchleins zu Kurbinovo befindet.
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Thronende Mutter-Gottes mit Jesuskind, Freske in der Hauptapsis in Kurbinovo, 12. Jh.

Die lebhafte, unbefangene Haltung des im Schöße der Mutter sitzenden Jesusknaben drückt schon klar die Unruhe aus, die — eben in diesen Gebieten Mazedoniens — auf der Ikone der Mutter-Gottes Pelagonitissa zu vollem Ausdruck gebracht werden sollte. Die Gestalt des in höchst lebhafter Bewegung dargestellten Jesusknaben wurde auf der Ikone in Pelagonien geschaffen, von wo aus sie sich im Laufe des 14. Jahrhunderts allmählich über das gesamte, weite Gebiet der byzantinischen Kunst verbreitete.
Diese Tatsachen werden beim Lösen des besonderen Problems des eigentlichen ikonographischen und stilistischen Ursprungs der Prizrener Freske-Ikone der Mutter-Gottes mit Jesus dem Ernährer in Betracht gezogen werden müssen; diese ist jedoch den florentinischen, aus den Jahren um 1260—70 stammenden Madonnen so sehr ähnlich, daß die Annahme einer näheren Beziehung zu Italien — allerdings unter der Voraussetzung, daß die auf ihr vorkommenden Italianismen im Grunde genommen byzantinischen Ursprungs sind, — allem Anscheine nach zutreffen dürfte.
Schon seit der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts weisen serbische Ikonen in ihrer Grundkonzeption realistische Züge sowie eine gewisse Unruhe in formalen Elementen ihrer Komposition auf. Außer berühmten Ikonen vom altertümlichen Typus, auf welchen die statische, idealisierte Form vorherrscht, kommen in Serbien Ikonen mit neuen Themen auf. In einem Depositum der Königin Beloslava, worin über 20 Ikonen aufgezählt werden, wird an der ersten Stelle ,,ycona una in qua erat Xps, sicut dormivit“ beschrieben. Auf Grund einer im Kloster Gradac befindlichen, Christus, „sicut dormivit“, darstellenden Freske läßt sich der ikonographische Grundinhalt der Beloslava-Ikone rekonstruieren. Cf. Die Erwähnung dieser Ikone in einem Dokument des 13. Jahrhunderts legt ein wertvolles Zeugnis für die rasche Verbreitung neuer Motive in der serbischen Malerei ab; die im Laufe des 12. Jahrhunderts (in Jerusalem?) geschaffene imago pietatis ging als Miniatur in die im Konstantinopler Hofskriptorium entstandenen Handschriften über und schon um das Ende desselben Jahrhunderts war sie in Serbien sowohl auf Fresken als auch auf Ikonen zu sehen.
Die Miniaturen aus dem 1941 beim Brande der Belgrader Nationalbibliothek vernichteten Prizrener Evangelium (13. Jh.) hatten — bemerkenswert für jene Frühzeit — zwei Typen der Ikone der Mutter-Gottes mit dem Kinde aufzuweisen, die sich durch eine ungewöhnliche Frische und durch Natürlichkeit der Beziehung zwischen Mutter und Kind auszeichnen. Das Prizrener Evangelium enthielt das älteste uns bekannte Exemplar der Mutter-Gottes Pelagonitissa — der Ikone Vzygranie (σκίρτημα), sowie die ungemein lebhafte und naive Zeichnung der Mutter-Gottes des Trostes (die dank einer späten, im Kloster Vatopedi am Berge Athos befindlichen Ikone besonders bekannt wurde; Festtag am 21. Jänner). Das frühe Erscheinen dieser Typen der Ikone der Mutter-Gottes mit dem Kinde in Serbien während des 13. Jahrhunderts spricht gegen die Kondakov'sche Annahme vom italienischen Ursprung sowohl des Vzygranie als auch aller anderen Motive, in denen das menschliche,natürliche Aussehen der Mutter und des Kindes immer mehr zum Ausdruck kommt.
Die Vorliebe serbischer Meister, in ihrer Kunst Themen an irdische Verhältnisse anzuknüpfen, tritt in einer ein besonderes Ganzes bildenden Ikonengruppe klar zutage. Schon in der serbischen Wandmalerei des 13. Jahrhunderts war das Porträt ein beliebtes Thema. Das erste serbische auf Tafel gemalte Porträt wird im Jahre 1281 erwähnt: die Ikone des hl. Symeon des Serben des Stefan Nemanja. Von den dreißiger Jahren des 13. Jahrhunderts an kann in der serbischen Kunst auch die Entwicklung der Ikonen mit Porträts serbischer Herrscher verfolgt werden. Die schönste serbische Ikone mit Herrscherporträts ist in St. Peter zu Rom erhalten. Sie wurde, nach einer mit Erfolg durchgeführten Reinigung, von W. F. Volbach veröffentlicht; der Beschreibung sowie den Abschriften lateinischer Inschriften auf einer Ikone in der St. Nikolauskirche von Bari nach zu urteilen, ließ die Königin Jelena, die Mutter der Könige Dragutin und Milutin, zwei ähnliche, für die St. Nikolauskirche zu Bari und für St. Peter zu Rom bestimmte Ikonen ausführen. Im oberen Teil der erhaltenen römischen Ikone sind die Brustbilder des hl. Petrus und des hl. Paulus, in der unteren, schmäleren Zone die Porträts der beiden Könige und ihrer Mutter zu sehen.
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Vatican, Trésor de St. Pierre, Sts. Pierre et Paul, dernières années du XIIIe siècle

Nach einer eingehenden Analyse der Ikone identifizierte Volbach die Porträtierten und datierte die Arbeit auf ungefähr 1300. Da ein gewisses, den Stil der römischen Ikone kennzeichnendes provinziales Gepräge ziemlich stark an die Fresken in Arilje erinnert, könnte man demnach auch an eine Datierung der Ikone in die letzten Jahre des 13. Jahrhunderts, ungefähr um das Jahr 1296, denken. Volbach bemerkte richtig, daß die Brustbilder der Apostel augenscheinlich nach abendländischen, vielleicht nach römischen Vorbildern entstanden sind. Es ist interessant, daß sich auch die ganze Komposition der Ikone — aber zu monumentalen Ausmaßen vergrößert — in der Wandmalerei im Kloster Dečani wiederholt, also in einem Kloster, das in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts von Kotorer Meistern, die unter starkem westlichen Einfluß standen, mit Fresken ausgeschmückt wurde.
Vom Biographen des Königs Dragutin, dem Erzbischof Danilo, wird erwähnt, daß der König eine künstlerische Werkstätte am Hofe hatte, in der kostbare Geschenke verfertigt wurden; vielleicht entstand auch das römische Peter-Paulsbild in diesem Hofatelier Cf. ; heute wirkt diese Ikone ziemlich bescheiden, während sie mit ihrem originalen, den Hintergrund der Figuren bedeckenden Silberbeschlag bedeutend feierlicher gewirkt haben muß.
Während sich hinsichtlich der römischen Ikone der hl. Apostel nur soviel vermuten läßt, daß sie in König Dragutins Hofatelier entstanden sein könnte, kann man hinsichtlich einer ganzen Ikonengruppe mit voller Sicherheit feststellen, daß sie aus der jahrzehntelang fast ausschließlich für Dragutins Bruder, den König Milutin, arbeitenden Werkstätte herrührt.
Die Hauptmeister an König Milutins Hofschule waren Astrapas, Michael und Eutychios. Heutzutage sind ihre Stileigenheiten so gut bekannt, daß man auf den Ikonen den Anteil jedes einzelnen Meisters unschwer unterscheiden kann; die von Eutychios und von Michael gemalten Ikonen stechen besonders scharf voneinander ab. Von diesen zwei Meistern datierte und signierte Fresken liefern ein gutes Vergleichsmaterial zur Identifizierung ihrer Ikonen. Cf. Die Entwicklung des persönlichen Stils Michaels und Eutychios' läßt sich in erster Linie auf ihren in der Zeit von 1295 bis 1317 entstandenen Fresken verfolgen. Aus diesem verhältnismäßig kurzen Zeitabschnitt haben sie Werke hinterlassen, die sich in stilistischer Hinsicht beträchltich unterscheiden. Ihre erste bekannte gemeinsame Arbeit (aus dem Jahre 1295), die Fresken in der Kirche der Mutter-Gottes Peribleptos zu Ochrid, weisen gewisse abendländische Motive auf, die sie später, um 1307, von der Konstantinopler Malerei beeinflußt, beträchtlich zu mildern wußten.
Die in den Übergangsjahren vom 13. zum 14. Jahrhundert erfolgte neue Anlehnung der serbischen Malerei an Konstantinopel wird zuerst an Ikonen deutlich. Eine der schönsten in dieser Zeit entstandenen Ikonen, das Brustbild des hl. Panteleemon befindet sich in Chilandar.
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St. Panteleemon, Ikone aus dem Chilandarer Klostermuseum, Übergangs Jahre vom 13. zum 14. Jh.

Zwar kann diese Ikone nicht den Meistern des Königs Milutin zugeschrieben werden; sie gehört aber doch jener Generation älterer griechischer Maler an, die um 1300 als erste begonnen hatten, den Paläologenstil wahrscheinlich über Chilandar und Mazedonien nach Serbien zu übertragen.
Bei einem Vergleich der aus der Zeit bis zu den neunziger Jahren des 13. Jahrhunderts stammenden Fresken und Ikonen treten in der Regel die zwisehen Wand- und Tafelmalerei bestehenden Unterschiede und Gegensätze klar zutage. Das letzte Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts bringt interessante Neuerungen. Auf den Ochrider Fresken und Ikonen der zwei um 1300 in den Dienst des Königs Milutin getretenen Maler Michael und Eutychios beginnt die Kreuzung verschiedener Arten von Technik und Stil der Wandmalerei mit denjenigen der Ikonenmalerei. Cf.
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Evangelist Matthäus, Ikone des Meisters Eutychios, um 1295, Ochrid

Die vollkommen erhaltene große, vom Meister Eutychios gemalte Ikone des Evangelisten Matthäus (jetzt im Skopljeer Museum) weist das der Wandmalerei unmittelbar entlehnte Monumentale und Dynamische auf Meister Michaels fein ausgeführte, aus denselben Jahren stammende Ikonen jedoch weisen alle für die Ikonenmalerei des frühen 14. Jahrhunderts charakteristischen Eigenschaften auf; die von diesem Maler in der Kirche der Mutter-Gottes Peribleptos zu Ochrid sowie in Staro Nagorićino gemalten Fresken sind eigentlich nur Vergrößerungen der in der Ikonenmalerei entwickelten Verfahren.
Sollten je in der serbischen Kunst Tendenzen existiert haben, den Ikonen das Gepräge des gewöhnlichen Lebens zu verleihen, so kamen sie in den ersten zwei Jahrzehnten des 14. Jahrhunderts zum stärksten Ausdruck. Im 13. Jahrhundert — in der Schule von Ras — wurde die monumentale, der Wandmalerei eigene Komposition der Freske nicht auf Ikonen übertragen. Im 14. Jahrhundert wurden, wie es scheint, in Komposition und Kolorit die vollendetsten Lösungen auf Ikonen verwirklicht. Seit den ersten Jahren des 14. Jahrhunderts sind die schönsten serbischen Ikonen von figurenreichen erzählenden Themen beherrscht. Unter Ikonen von erzählendem Charakter waren jedenfalls diejenigen mit einzelnen Szenen aus dem Leben des dargestellten Heiligen vorherrschend. Die erste erhaltene Kunde von einer Ikone dieser Art stammt aus dem Jahre 1319. Auf der von König Milutin der St. Nikolauskirche zu Bari gespendeten Ikone des hl. Nikolaus waren um die Mittelfigur des Heiligen Szenen aus seinem Leben gemalt. Ikonen unterhaltenden Inhalts, wie man wohl sagen dürfte, die keine Mittelfigur aufweisen, sind selten. In Chilandar ist eine kleine kostbare griechische Ikone dieser Art (14. Jahrhundert) mit Illustrationen des bewegten Lebens der hl. Maria Aegyptiaca zu sehen. Die neue klassizistische Richtung, die aus den Konstantinopler Hofateliers nach Serbien verpflanzt wurde, suchte ihre Vorbilder meistens in der byzantinischen Miniaturmalerei, die ihrerseits von antiken, in verschiedenen Techniken und Formaten ausgeführten Werken inspiriert wurde. Die in der serbischen Malerei in der Zeit von 1300 bis 1320 vorherrschenden antiken Elemente wären nur schwer ohne ihre Abhängigkeit von unverfälschten antiken Elementen erklärlich. Die unlängst entdeckte und gereinigte, vom Meister Michael gemalte Ikone des Ungläubigen Thomas ist nicht nur hinsichtlich der Darstellung der Figur und der Gewandung sowie der Art und Weise der Komposition, sondern auch in Bezug auf die Gesamtkomposition der Ikone als Bild von der antiken Malerei abhängig.
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Der Ungläubige Thomas, Ikone des Meisters Michael, um 1295, Ochrid

Der Christus mit der entblößten linken Seite des Oberkörpers ähnelt einem Gott der Antike; die Apostel erinnern an Figuren auf antiken Reliefs, während die ganze Gruppe den Eindruck erweckt, als ob sie vor der scaenae frons eines römischen Theaters mit der halbkreisförmigen, von der porta regia beherrschten Zentralnische stünde.
Die Betonung von meisterhaft ausgeführten, ästhetisch wertvollen Einzelheiten tritt vor allem an figurenreichen Szenen zutage. Im Chilandarer Museum wird eine fast völlig ruinierte serbisch signierte Ikone der Einführung Maria in den Tempel ([VVEDENIE V SVETAJA SVETIH]; Format: 1,17x1,09) samt einem besser erhaltenen (0,30 m breiten) Tafelfragment (die Mutter-Gottes begleitende Mädchen) aufbewahrt (Abb. 11).
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Fragment der Einführung Maria in den Tempel, Ikonenteil im Chilandarer Klostermuseum, erste Jahre des 14. Jh.

Die Gruppe der Mädchen von außerordentlich edlem Ebenmaß, fein geschnittenem Gesicht, wohl durchdachten Handbewegungen — wie z. B, das am linken Ende stehende, mit der Hand die Flamme ihrer Kerze abblendende Mädchen — hat mit der Ikone überhaupt nichts zu tun. Auf diesem zerbrechlichen Fragment eines Meisterwerkes, wo eine seltsame Verquickung uralter Elemente mit frischem, lebendigem Gefühl für das Kolorit vorliegt, ist das Mittelalter spurlos verschwunden. Auf der Chilandarer Ikone der Einführung Maria in den Tempel sind Entlehnungen aus alten Vorbildern mit neuen, von der Wirklichkeit eingegebenen Eindrücken zu einem neuen lebendigen Ganzen verschmolzen. Die hohe Kulturstufe des Meisters dieser Ikone, eines den Gehilfen des Proto-meisters Astrapas im Narthex der Kirche der Mutter-Gottes von Ljeviša nahestehenden Künstlers, ist vor allem an der Geschicklichkeit zu erkennen, alte Motive in ein neues Ganzes einzufügen. In der byzantinischen Malerei ist in Szenen, in welchen Mädchen erscheinen, oft eine als Verzierung dienende Einzelheit zu sehen: eine rothaarige, im Profil dargestellte Schöne in der dunklen Türöffnung eines schattigen Raumes. Auf der Chilandarer Ikone der Einführung Maria in den Tempel ist sie im obersten linken Teil dargestellt. Derselbe Kopf, in seitenverkehrter Darstellung, ebenfalls in der Türöffnung, ist auf der Freske der Geburt Mariens in Nerezi gemalt. Dieselbe Figur ist als Dienerin, in der Türöffnung stehend, auf der im Hortus Deliciarum der Herrad von Landsberg befindlichen Miniatur der Verleugnung Petri zu sehen.
Die wohldurchdachte Komposition ist für die Meister des Milutin'schen Zeit¬alters kennzeichnend. Ähnliche Lösungen wie auf der Ikone des Ungläubigen Thomas oder auf der Ikone der Einführung Maria in den Tempel sind auf den Fresken in der Königskirche, in Studenica und in Gračanica zu beobachten. Sowohl vom Stil als auch von den Qualitäten der Ikonen im Milutin'schen Zeitalter haben wir heute dank Eutychios' und Michaels Arbeiten einen ziemlich klaren Begriff. Ihre Ikonen lassen sich — bis ins Einzelne — mit ihren schon bekannten Fresken in Zusammenhang bringen. So hat der Mädchenchor auf der Chilandarer Ikone der Einführung Maria in den Tempel sein nächstliegendes Gegenstück auf einer Freske im Narthex der Kathedrale zu Prizren.
Außer Ikonen klassizistischen, aristokratischen Charakters erscheinen in der serbischen Kunst gleichzeitig, d. h. im Anfang des 14. Jahrhunderts, auch Ikonen mit ausgesprochen plebejischen Zügen. Zwei aus den ersten Jahrzehnten des 14. Jahrhunderts stammende Ikonen der Mutter-Gottes Peribleptos, die eine aus Ochrid, die andere aus Prizren, beweisen am klarsten, wie verschiedenartig ein und dasselbe Thema eines festgesetzten ikonographischen Motivs künsterisch gestaltet werden konnte. Die schon von Kondakov veröffentlichte Öchrider Peribleptos ist in das 14. Jahrhundert gesetzt worden. Meiner Meinung nach dürfte sie mit der Konstantinopler Malerei des späten 13. und des frühen 14. Jahrhunderts in unmittelbaren Zusammenhang gebracht werden. Das unlängst entdeckte, ebenfalls aus den ersten Jahren des 14. Jahrhunderts stammende Prizrener Muttergottesbild gehört einer ganz anderen, augenscheinlich ans mönchische Milieu anknüpfenden Malerei an. Das volle ovale Gesicht des Prizrener Muttergottesbildes, die straffe Gewandung sowie die einfachen, etwas schwerfälligen Umrisse des ganzen Körpers mit kraftvollem Kopf — alle diese Eigenschaften lassen an den Maler der in den ersten Jahren des 14. Jahrhunderts im Protaton geschaffenen Freske der Einführung Maria in den Tempel denken. Cf. Ein ähnlicher, etwas strengerer und vereinfachter „strenger Stil“ der Frauenfiguren erscheint auf Ochrider, vom Meister Eutychios in der Kirche der Mutter-Gottes Peribleptos gegen Ende des 13. Jahrhunderts gemalten Fresken. Diese der Prizrener Ikone ähnlichen Fresken gehören zu jenem Zweig byzantinischer Kunst des 14. Jahrhunderts, der wohl als deren „mönchischer Zweig“ bezeichnet werden dürfte und der, nach den Werken der Malerei des späten 13. und des frühen 14. Jahrhunderts in Prizren und Ochrid (die Fresken der Mutter Gottes Peribleptos), denjenigen in der Ljevisaer Muttergotteskirche, sowie der Prizrener Ikone zu urteilen, sowohl im bürgerlichen Milieu als auch in der Provinz besonders lebendig und qualitativ hochwertig war.
Vorläufig ist es noch immer schwer, zwischen den Ikonen dieses östlichen, städtischen Typus und jener Ikonenmalerei zu unterscheiden, die zwar ebenfalls dem ausgesprochen städtischen Typus angehörte, sich aber vom adria-tischen Küstenland aus nach dem Inneren des Balkans verbreitete.
Im Anfang unseres Jahrhunderts wurde die Rolle Italiens in der Entwicklung der serbischen mittelalterlichen Malerei allzusehr hervorgehoben. Es hat sich später herausgestellt, daß diese Einflüße weniger wichtig waren, als man es vermutet hatte. In der serbischen Kunst des 14. Jahrhunderts zeichneten sich die aus dem Küstenlande stammenden Künstler weder durch neue Auffassungen noch durch irgendwelche höhere künstlerische Qualitäten aus. Auf den Charakter der im mittelalterlichen Serbien vertretenen Kunst des Küstenlandes im 14. Jahrhundert können wir am besten aus jenen Fresken in Dečani schließen, die um die Mitte des 14. Jahrhunderts vollendet wurden. Sowohl die Fresken als auch die ältesten Ikonen in der Kirche von Dečani wurden von Kotorer Malern gemalt. Von der ursprünglichen Ikonostas in Dečani sind fünf Ikonen, lauter stehende Figuren: Christus, die Mutter-Gottes der Zärtlichkeit, der hl. Johannes Prodromos der hl. Nikolaus und der Erzengel Gabriel erhalten. Cf. Es springt in die Augen, daß diese Ikonen und Fresken von denselben Meistern gemalt wurden. Es genügt z. B., die Ikone des hl. Johannes Prodromos mit der Freske desselben Heiligen in der Kirche von Dečani zu vergleichen um zu erkennen, wie nahe die Ikone dem Freskobild in der serbischen Kunst um die Mitte des 14. Jahrhunderts stand
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Ikone des hl. Johannes Prodromos, Dečani, um 1350.

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Freske des hl. Johannes Prodromos, Dečani, um 1350.

Der Stil der Ikonostasikonen in Dečani zeichnet sich durch keine höhere Qualitäten aus; infolge der starken Abhängigkeit von der Wandmalerei haftet diesen Ikonen ein gewisser archaischer und provinzialer Zug an. Der unlängst in der Sophienkirche zu Ochrid entdeckten Ikone-Freske der Mutter-Gottes, der Ikonostasikone der Mutter-Gottes der Zärtlichkeit in Dečani sowie der Freske-Ikone der Mutter-Gottes Pelagonitissa an der Altarschranke in Staro Nagoričino nach zu urteilen, scheinen neuere Ikonentypen der Mutter-Gottes mit dem Kinde in großen erzbischöflichen und königlichen Kirchen ziemlich bald ihren Weg zur Ikonostas gefunden zu haben.
In den Fresken in Dečani sind auch einige Kopien von Ikonen erhalten. Unter ihnen tritt am meisten die Freske der Mutter-Gottes der Rührung (Eleusa) am Hauptaltar der Kirche von Dečani hervor; sie wurde schon von L. Mirković analysiert.
Um die Mitte des 14. Jahrhunderts wurde eine interessante Ikone-Freske serbischen Ursprungs im Kloster Konce in Mazedonien gemalt. In der ältesten, vor 1366 gemalten Freskenschicht in der St. Stefanskirche in Konče ist eine Kopie der Chilandarer Mutter-Gottes (ΜΑΤΙ BOŽIJA HILANDARINA) erhalten. Der Stifter des Klosters Konče, der Großwoiwode Nikola Stanjević stand in enger Beziehung zum serbischen Kloster Chilandar auf dem Berge Athos. Cf. Es ist höchst wahrscheinlich, daß Chilandarer Meister die Fresken in der Kirche der Nikola'schen Stiftung, sowie das besondere Heiligtum dieses Klosters, eine Fresko-Kopie der Chilandarer Mutter-Gottes, ausgeführt haben. Diese Chilandarer Mutter-Gottes stellt das älteste völlig ausgebildete Exemplar der später oft wiederholten Passionsmadonna (ἡ Παναγία τοῦ πάθους) dar, die noch immer gewöhnlich der „italokretischen“ Schule zugeschrieben wird. Cf. Die Končeer Passionsmadonna beweist es klar, in welchem Maße dieser Ikonentypus der Komposition der Darstellung Christi unmittelbar entnommen ist. Das erschrockene Kind mit der Mutter stellt eigentlich die linke Hälfte des Bildes der Darstellung Christi dar. Diese formale Abhängigkeit von der Szene der Darstellung Christi steht im vollen Einklang mit dem Inhalt der bekannten Stelle im apokryphen Nikodemus-Evangelium, wo die tragische Prophezeiung Simeons erwähnt wird. In diesem Zusammenhang wäre es nicht eben leicht, die Frage zu erörtern, wann der apokryphe Text die Maler inspiriert haben könnte, und ob etwa die Entstehung dieses Ikonentypus dem von Chilandarer Mönchen ausgeübten Einfluß zu verdanken sei. Unter Chilandarer Ikonen des 14. Jahrhunderts ist kein einziges älteres Exemplar der Passionsmadonna auf uns gekommen. Die erhaltenen Chilandarer Ikonen aus der Mitte des 14. Jahrhunderts zeigen uns, daß serbische Mönche vom Berge Athos nicht eben auf der strikten Wiederholung festgelegter Prototypa bestanden. Alte ikonographische Motive wurden nach Belieben umgebildet, wobei sie um eine ziemlich originelle und frische neue Stilisierung bereichert wurden.
Das größte Heiligtum des Klosters Chilandar, die Ikone der Dreihändigen Mutter Gottes (Tricheirusa) ist eigentlich eine frei umgebildete Hodegetria. Der Gesamtkonzeption nach erinnert sie an die seitenverkehrte Darstellung der Mutter-Gottes Peribleptos. Der Überlieferung zufolge sollte sie aus der Zeit des hl. Johannes Damaskenos, also aus dem 8. Jahrhundert, stammen, während sie in Wirklichkeit der Mitte des 14. Jahrhunderts angehört. Die Dreihändige Mutter-Gottes gehört zu einer Art zweiseitig bemalter Prozessionsikonen : auf der Vorderseite ist die als Hodegetria signierte Mutter-Gottes, den Christus im linken Arm tragend, dargestellt; der Kopf des Kindes erinnert stark an den kleinen Jesus der schon erwähnten Ochrider Ikone. Auf der Rückseite ist der hl. Nikolaus zu sehen
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Rückseite der Ikone der Dreihändigen Mutter-Gottes: hl. Nikolaus, Chilandar, um 1360.

Auf der Ikone befindliche Inschriften und Kryptogramme sind griechisch. Die Abgemessenheit der Zeichnung, das von olivgrünem Ton beherrschte zurückhaltende Kolorit sowie die verfeinerten Formen scheinen für die Annahme zu sprechen, diese Ikone sei entweder von einem griechischen Meister oder aber von einem unter starkem griechischen Einfluß stehenden serbischen Meister gemalt worden.
Der Dreihändigen Mutter-Gottes ähnliche, jedoch bewegtere Gesichtszüge und ein milderer Ausdruck ist auf der Chilandarer zweifellos von einem serbischen Meister gemalten Mutter-Gottes „Vzygranije“ zu beobachten.
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Ikone der Dreihändigen Mutter-Gottes, Chilandar, um 1360.

Dieses kleine, ziemlich beschädigte Meisterstück führt uns die Eigenschaften der serbischen Ikonenmalerei aus der Mitte des 14. Jahrhunderts klar vor Augen. Ältere Ikonen mit demselben Motiv (die Pelagonitissa von Νagorčino, sowie jüngere, nach älteren Vorbildern entstandene Pelagonitissen: in St. Nikolaus in Stara Varoš zu Prilep, in Dečani und in Zrze) haben manches vom archaischen, monumentalen Charakter des Prototyps beibehalten: scharf gezeichnete Bewegung des muskulösen Körpers des kleinen Jesus, sowie den betonten Vertikalismus des Ganzen. Auf der Chilandarer Ikone ist die Bewegung des Kindes bedeutend ruhiger und die Mutter schmiegt sich enger an den Sohn an. Die Farben dieser kleinen Ikone stechen vom gewöhnlichen Kolorit der Ikone der Mutter-Gottes Pelagonitissa völlig ab. Alle anderen Ikonen dieses Typus sind auf blauem Hintergrund gemalt und weisen eine dementsprechende Farbenskala auf; die Chilandarer Ikone aber hat einen goldgelben Hintergrund, während bei den Figuren kastanienbraune und dunkelrote Töne mit scharfen, weißen und rosigfarbenen Reflexen vorherrschen.
Politische Verhältnisse im mittelalterlichen Serbien um die Mitte des 14. Jahrhunderts hatten auch auf die Entwicklung der serbischen Ikonenmalerei einen bedeutenden Einfluß ausgeübt. Die vom Kaiser Dušan gegen Byzanz geführten Kriege, seine Proklamation zum Kaiser sowie der vom Patriarchen von Konstantinopel über die serbische Kirche ausgesprochene Bann hatten die serbischen Beziehungen zu Byzanz völlig unterbrochen. Der in der Zeit des Königs Milutin gepflegte Klassizismus der Palaiologen war schon in den Jahren der Regierung des Königs Stefan Dečanski restlos verschwunden. Die serbische Malerei um 1340—1350 hatte keine zentrale Schule mehr. Den provinzialen, aus Mazedonien und dem adriatischen Küstenlande stammenden Meistern gelang es, sich als führende Maler zu behaupten. Aus verschiedenen Milieus stammende, im Territorium des Dusan'schen Reiches tätige Künstler stellten ein Gemisch dar, aus welchem Werke von völlig entgegengesetzten Konzeptionen hervorgingen.
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Ikone der Mutter-Gottes Hodegetria aus Lesnovo, vor 1342 gemalt, jetzt im Nationalmuseum in Skoplje.

Autochthone mazedonische Meister erwiesen sich damals als strenge Hüter der Überlieferung. Die genau datierte Lesnovoer Hodegetria, eine Ikonostasikone aus dem Jahre 1342, ähnelt stark der Mosaikikone der Hodegetria aus dem Museum in Palermo, die Lazarev in das 13. Jahrhundert, Demus dagegen in den Anfang des 14. Jahrhunderts setzt. Die Lesnovoer Ikone (jetzt im Museum in Skoplje: gehört der Gruppe ganz ähnlicher, dem 14. Jahrhundert entstammender archaischer Hodegetrien an, unter denen die Ikone Nr. 177 im Byzantinischen Museum in Athen dem Lesnovoer Exemplar wohl am nächsten steht. Cf.
Die um zwei Jahrzehnte jüngere Freske-Ikone der Mutter-Gottes im Markoskloster bei Skoplje, eine Arbeit der aus dem Küstenlande stammenden „griechischen Maler", weist eine völlig entgegengesetzte Konzeption des Muttergottesbildes auf. Anstatt der feierlichen, fast unbeweglichen „Wegweiserin“ ist die niedergeschlagene, ihren Sohn beweinende Mutter dargestellt. Diesem interessanten, von einem Gehilfen der Meister von Dečani geschaffenen Brustbild der Mutter-Gottes steht eine Madonna des Ugolino Lorenzetti besonders nahe.
Westliche Elemente wurden im 14. Jahrhundert vom serbischen Adel in die Kunst innermazedonischer Gebiete übertragen. Caesar Grgur brachte um 1361 an das Gestade des Ochrid-Sees die berühmte wundertätige Ikone der Zahumer Mutter-Gottes (Ζαχλουμήστισα), von der geglaubt wurde, sie sei kein Menschenwerk; ihr Bild ist uns auf einer Freskokopie erhalten, wo sie als: /MP / ΘΥ / ἀχειρο / ποίητος signiert ist. Cf. Das Grabporträt des Adeligen Ostoja Rajaković in der Ochrider Mutter-Gottes Peribleptos (aus dem Jahre 1379) ist in ein typisches italo-byzantinisches Schema des Donatorenbildes hineinkomponiert. Mit ausgestreckten Armen kniet Ostoja vor der thronenden Mutter-Gottes. Auf der dalmatinischen Insel Korčula ist eine Freske aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts erhalten, die mit der Ikone über dem Grabe des Ostoja Rajakovic weitgehend übereinstimmt. Sowohl die Ochrider Freske als auch die dalmatinische Ikone knüpfen wiederum an die bekannte Miniatur in der Mariegola della Scuola di S. Caterina aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts an. Stilistische Verwandtschaft mit der venezianischen Malerei des 14. Jahrhunderts zeigt auch eine um 1360—1370 entstandene Chilandarer Ikone der Einführung Maria in den Tempel, die vermutlich als Geschenk in das Kloster kam. Diese auf beiden Seiten bemalte Ikone ist unter dem Namen der „Mutter-Gottes des Popen“ bekannt. Die Vorderseite mit der Mutter-Gottes und Christus wurde gänzlich übermalt, während die Szene der Einführung Maria in den Tempel unberührt blieb. Der am besten erhaltene Teil der Ikone erinnert stark an den Stil jenes Meisters, der im Markoskloster das schon erwähnte Muttergottesbild gemalt hatte.
Diese Malerei von ungleichen Qualitäten mxd verschiedenen Ursprungs dauerte in Serbien bis ungefähr 1375, d. h. bis zur Versöhnung der serbischen Kirche mit Byzanz. Damals brachte die Türkengefahr die einstigen Gegner zusammen. Seither wurden die kulturellen Beziehungen zwischen Serbien und Byzanz immer inniger. Auch die Blüte der letzten serbischen National-schule, der „Schule von Morava“, könnte ohne diese fruchtbaren Beziehungen zu Byzanz kaum erklärt werden, ob sie nun durch den Athos vermittelt oder unmittelbar gepflegt wurden.
Serbische Ikonen aus dem späten 14. Jahrhundert sowie aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts sind meistens von hoher Qualität. Sie bilden eine kleine erlesene Galerie sicher datierbarer Exemplare. Zwischen 1367 und 1384 entstand das kostbare, jetzt in der Kathedrale zu Cuenca aufbewahrte Reliquiar des Despoten Toma Preljubovic.
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Linker Flügel des Reliquiars des Despoten Toma Preljubović, Kathedrale zu Cuenca, zwischen 1367 und 1370.

Um 1375 ist der monumentale Chilandarer „Tschin“ anzusetzen. Im Jahre 1392 malte der Erzbischof Johannes, Schöpfer der Fresken von St. Andreas am Treska-Fluß, die gut erhaltene Ikone des Erlösers für das Kloster Zrze. Im Jahr 1422 malte Makarios, Bruder des Erzbischofs Johannes, die Ikone der Mutter-Gottes Pelagonitissa für dasselbe Kloster. In eben diesen Jahren wurde die kleine, jetzt im Museum für angewandte Kunst in Beograd aufbewahrte Ikone des hl. Demetrios gemalt.
Der bemalte Teil des Reliquiars des Despoten Toma Preljubovic knüpft vor allem an das im Kloster der Verklärung Christi zu Meteori (Thessalien) Cf. befindliche Muttergottesbild, an die Hodegetria in der Tretjakow'schen Galerie (die sog. Pimen'sche Mutter-Gottes) und über diese an die spätbyzantinische Malerei an. Die rechte Hälfte einer fein gemalten Hodegetria in Chilandar weist auf die Möglichkeit hin, daß das Reliquiar des Despoten Toma in Chilandar gemalt wurde. Dort ist auch das imposanteste Ensemble serbischer Malerei des späten 14. Jahrhunderts erhalten, nämlich zehn große Ikonen, die sich einst als „Tschin“ am Architrav der Altarschranke der Chilandarer Hauptkirche befanden. Vom Chilandarer „Tschin“ sind folgende Brustbildikonen (Format 1,00x0,60—0,74) auf uns gekommen: die Mutter-Gottes, hl. Johannes Prodomos, Erzengel Michael, Erzengel Gabriel, hl. Petrus, hl. Paulus und die vier Evangelisten; das mittlere Christusbild ist bis jetzt verschollen.
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Muttergottesbild aus dem „Tschin" der Chilandarer Muttergotteskirche, um 1380.

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Ikone des Erzengels Gabriels aus dem „Tschin" der Chilandarer Muttergotteskirche, um 1380.

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Ikone des Evangelisten Lukas aus dem „Tschin" der Chilandarer Muttergotteskirche, um 1380.

In einem Aufsatz über die Ikonen des Wyssotzkijer „Tschin“, eine zwischen 1387 und 1395 gemalte Ikonengruppe, befaßte sich Lazarev besonders mit der Frage, wann der entwickelte „Tschin“, d. h. die Deesis mit Erzengeln und Aposteln, an der Ikonostas zuerst erschienen sein mag. Lazarev war überzeugt, daß die Ikonen aus Wyssotzkij, ein Werk der Konstantinopler mönchischen Meister, der älteste byzantinische monumentale „Tschin“ seien. Das vom Athos stammende Material liefert aber — auch für diese Frage — neue wichtige Daten. Die Ikonen des Chilandarer „Tschin“ sind jedenfalls älteren Datums als diejenigen des Wyssotzkijer „Tschin“. Außerdem wird im Altar der Hauptkirche in Vatopedi ein den Erzengelbildern des Chilandarer „Tschin“ ähnliches Erzengelbild aufbewahrt. Demgemäß sollte die chronologische Liste der monumentalen „Tschins“ mit Vatopedi und Chilandar beginnen. Flüchtig besehen erinnern die Chilandarer Ikonen an das 13. Jahrhundert, und zwar an Miniaturen aus dem späten 13. Jahrhundert. So sind z. Β. die Evangelisten in der Leningrader griechischen Handschrift Nr. 101 in ikonographischer Hinsicht den Evangelisten des Chilandarer „Tschin“ ziemlich ähnlich.
Doch weisen die charakteristischen Eigenschaften der Chilandarer Ikonen: sehr betonte plastische Formen, dunkle Schatten, fast stilisierte Lichtreflexe sowie das gedämpfte Kolorit auf eine bedeutend spätere Zeit, d. h. auf die letzten Jahrzehnte des 14. Jahrhunderts. Der Gesamtkonzeption der Figuren nach gehören die Chilandarer Ikonen jenem Konstantinopler Stil des 14. Jahrhunderts an, in welchem das stark betonte Bestreben zu spüren ist, das Monumentale der alten Malerei des 13. Jahrhunderts neu zu beleben.
Die Anlehnung der im Innern des Balkans tätigen Ikonenmaler an diese Kunstrichtung der byzantinischen Hauptstadt ist bei der neuentdeckten, vom Metropoliten Johannes gemalten Ikone des Erlösers besonders auffällig. Dieser interessante Prälat, selbst Maler und Haupt einer aktiven Malerschule, hat im Jahre 1392 für das Kloster Zrze die Ikone Jesus des Erlösers und Lebensspenders
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Ikone Jesu des Erlösers und Lebensspenders, gemalt 1392 vom Metropoliten Johannes für das Kloster Zrze.

(Abb. 25) gemalt, die eine weitgehende Übereinstimmung mit der aus der Zeit um 1363 stammenden Ikone des Pantokrators in der Ermitage aufweist. Der Bruder des Erzbischofs Johannes, der Hieromonachos Makarios, der Anfang des 15. Jahrhunderts Fresken in Ljubostinja ausgeführt hatte, malte im Jahr 1422 für das Kloster Zrze die Ikone der Mutter-Gottes Pelagonitissa, ein Werk, das an Qualität etwas hinter der Ikone Jesus des Lebensspenders zurücksteht.
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Ikone der Mutter-Gottes Pelagonitissa, gemalt 1422 vom Hieromonachos Makarios für das Kloster Zrze

Der anonyme Meister des Chilandarer ,,Tschin“ sowie der Erzbischof Johannes und sein Bruder Makarios waren zu einer Zeit tätig, da in Serbien unter Fürst Lazar und seinem Sohn Stefan die Schule von Morava bereits gegründet worden war. Ihr Stil aber hat mit dem Moravaer Stil nichts gemein sie pflegen eine Kunst von großen, edlen Formen und gedämpftem Kolorit, was sich aus den archaisierenden Tendenzen der Kunst der späten Palaiologenzeit erMären läßt.
Die Meister, die den Stil der Schule von Morava ausbildeten, vor allem Konstantin, Radoslav und der Anonymus der Fresken in Kalenić, hatten sich : bestimmt die Konstantinopler Malerei aus den ersten Jahren des 14. Jahrhunderts zum Vorbild genommen. Schlanke Figuren mit kleinem Kopf und großem Heiligenscheine, in große Kompositionen mit breiter Szenerie harmonisch hineinkomponiert — alles von prächtigem Kolorit — setzen in Serbien sowohl die Kunst der Chora-Kirche als auch reiche Überlieferungen der Meister aus der Schule König Milutins fort. Serbische Ikonen dieses Stils sind ziemlich selten. Die griechisch signierte, jetzt im Museum für angewandte Kunst in Belgrad aufbewahrte kleine Ikone des hl. Demetrios
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Ikone des hl. Demetrios aus Chilandar (?), Ende des 14. Jh., jetzt im Museum für angewandte Kunst in Belgrad

(aus Chilandar?) ist den auf den Fresken im Kloster Sisojevac bei Ravanica dargestellten heiligen Kriegern sehr ähnlich; in ikonographischer Hinsicht erinnert der Belgrader Demetrios ziemlich stark an einen heiligen Krieger in der Erlöserkirche zu Kowaljewo in Nowgorod. Ziemlich mittelmäßige Nach¬ahmungen der Moravaer Malerei stellen die kleine Ikone des hl. Sava und des hl. Symeon im Nationalmuseum in Belgrad, die Ikone des Propheten Elias und des hl. Johannes Damaskenos aus dem russischen Konsulat in Konstantinopel, sowie die Ikone des Apostels Paulus im Museum der Lavra in Kiew dar. Cf.
Die serbische Ikonenmalerei war in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts zugleich mit der gesamten Existenz des serbischen Despotats sowohl von seiten der Türken als auch von seiten der Ungarn bedroht. Die hohe Qualität der Malerei sollte jedoch in diesem Lande trotz ständiger Kriege nicht jäh absinken. Die raffinierte Kunst der Meister der Schule von Morava wurde in Klöstern weiter gepflegt, die gelegentlich zu Zufluchtstätten hochgebildeter Emigranten wurden. Vornehmlich aus Mazedonien und Bulgarien kommend, machten sie auf ihrer Flucht vor den Türken in Serbien Halt, um bei der nächsten Gefahr weiter nach Norden, in sicherere Länder, nach Rumänien und Rußland, zu fliehen.
Der angesehenste unter diesen Emigranten in Serbien, Konstantinos Philosophos, gelehrt und konservativ zugleich, hat in seiner Lebensbeschreibung des Despoten Stefan Lazarević ein das Schicksal serbischer Ikonen im dritten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts besonders lebhaft illustrierendes Ereignis beschrieben. In einem von dunklen Ahnungen des bevorstehenden Weltunterganges erfüllten Text berichtet Konstantin mit Entrüstung, daß der Despot „wie im Traum" — seiner Handlungen kaum bewußt — im Jahr 1427 zuließ, daß man in die Belgrader orthodoxen Kirchen auf Papier gedruckte, aus dem Westen stammende Ikonen hineintrug, die Gott-Vater mit dem gekreuzigten Sohn in Händen darstellten.
Die orthodoxe Haltung Konstantins verlieh seiner Darstellung in diesem Fall den Charakter einer wahren Prophezeiung. Westliche Einflüsse sowie neue graphische Techniken haben am meisten den Untergang der serbischen Ikonenmalerei beschleunigt. Den Überlieferungen hartnäckig treu bleibend, bestanden die Serben auch unter der Türkenherrschaft darauf, die allmählich unter den Schlägen der türkischen Gewalt versinkende alte serbische Kunst zu bewahren. In dieser Kunst der Türkenzeit ging zuerst die monumentale Wandmalerei zugrunde. Die Ikonenmalerei hingegen blieb noch auf einer beträchtlichen Höhe. Noch im 16. und 17. Jahrhundert gab es angesehene serbische Ikonenmaler, die in ihren zwischen der „italo-byzantinischen“ und der russischen Ikonenkunst vermittelnden Werken Qualität und Selbständigkeit zu wahren wußten. Seit den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts lebte die Ikonenmalerei bei den Serben als ein bescheidenes Gewerbe der Dorfmeister fort, während führende, in Kunstakademien geschulte Künstler auch für serbische Barockkirchen zu malen begannen.
Dieser erste Versuch, das wichtige Material zur Geschichte der serbischen Ikonenkunst an einer Stelle zusammenzustellen, es zu datieren und in einer Art synchronisierter Zeittafel neben die Fresken zu stellen, ist wohl in mancher Hinsicht unzulänglich. Die schon jetzt mit genügender Klarheit sichtbare stilistische Übereinstimmung zwischen Fresken und Ikonen bietet allerdings keine präzisen Antworten auf die Grundfragen, ob die Ikone in der alten serbischen Malerei immer eine führende Kunstform als Träger neuer Inhalte und neuer Stilarten war und ob sie hinsichtlich der Qualität den kostbarsten Teil der Schöpfungen jener Meister darstellt, welche Fresken, Ikonen und Miniaturen zugleich malten. Werke der uns namentlich bekannten Meister Eutychios, Michael, Metropolit Johannes und dessen Bruders Makarios, von denen sowohl Ikonen als auch Fresken auf uns gekommen sind, beweisen, daß Ikonen als ihre Hauptwerke anzusehen sind. Diese Feststellung dürfte aber kaum für die doch eher als Freskenmaler imponierenden Meister von Dečani gelten.
Jedenfalls gibt es noch immer in Serbien, am Athos, in Griechenland, am Sinai, in Italien und besonders in russischen Sammlungen eine Anzahl von serbischen Ikonen aus dem 13. und 14. Jahrhundert. Vielleicht werden diese Zeilen als eine vorläufige Grundlage zur weiteren Erforschung des gesamten Materials dienen können. Neue Entdeckungen von Ikonen in den letzten Jahren konnten bereits manche Unklarheiten beseitigen. Durch weitere Entdeckungen und eine systematische Erforschung werden die Rolle und der Rang der Ikonenmalerei in der allgemeinen Entwicklung der serbischen Kunst hoffentlich schon in naher Zukunft klarer zutage treten.


Graz-Köln 1956