ELEMENTE DER WESTLICHEN KUNST DES FRÜHEN MITTELALTERS IN DEN ÄLTESTEN SERBISCHEN MINIATUREN

von Svetozar Radojčić

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Initiale aus dem Zagreber Psalter, erste Helfte des XV Jahrh.

Die Anfänge der romanischen Kunst sind so fest an die Länder Westeuropas gebunden, dass man an der südlichen Adria-Küste und in seinem Hinterlande die Elemente der Vor- und Früh-romanischen Kunst kaum erwarten würde. Bis vor kurzem hatte es den Anschein, dass die Elemente des romanischen Stils in der mittelalterlichen serbischen Kunst nur auf die Plastik der Steinarchitektur der Raška-Schule - des XII und des XIII Jahrhunderts - und auf die Miniaturen des bekannten Evangeliars des Fürsten Miroslav, welches in den letzten Jahren des XII Jahrhunderts entstanden ist, begrenzt seien. Die Portale von Studenica und die Initialen des Meisters Gregorius aus dem unbekannten Skriptorium des Fürsten Miroslav, wurden als seltene Beispiele des romanischen Stils in einer Kunst, welche als Ganzes der byzantinischen Kultur angehörte, hervorgehoben. Die tiefere Erforschung der alten serbischen Miniaturen nahm ihren Anfang erst nach dem ersten Weltkriege. In den meisten Fällen erreichen unsere Miniaturen weder der Technik der Ausführung noch den künstlerischen Qualitäten nach die Höhe unserer Fresken. Bis jetzt waren sie wenig bekannt, sie sind auch heute schwer zugänglich und schlecht erhalten. Eine Ausnahme bilden die Miniaturen des Münchener serbischen Psalters. Sie gleichen in ihrem Stil und ihrem künstlerischen Wert der serbischen Freskomalerei. Der Psalter drang durch die Polemik, welche Strzygowski im Jahre 1906 heraufbeschwor, in die Algemeine Kunstgeschichte ein. André Grabar hat, als erster, mit seinen Studien über das Evangelium von Prizren - XIII Jahrhundert - aus der jetzt abgebrannten National-Bibliothek in Belgrad die Aufmerksamkeit der Fachleute auf den Schmuck dieser Handschrift gelenkt. Das Manuskript nämlich weist bei aller Primitivität seiner Ausführung auf sehr wichtige Probleme. Mit vollem Recht hat Grabar die Wichtigkeit auch jener Kunstdenkmäler betont welche auf den ersten Blick nicht die Aufmerksamkeit auf sich lenken. Roh gezeichnete Initialen, Szenen und Zierseiten der Evangelien und Psalter der National-Bibliothek in Belgrad, der Bibliothek der Südslavischen Akademie in Zagreb, der Kopitarschen Sammlung in Ljubljana und, besonders, aus den Schatzkammern der alten serbischen Klöster, bieten indessen ebenso viele neue als unerwartete Tatsachen, für welche ganze Dezennien nötig sein werden um sie systematisch und allseitig zu bearbeiten
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Initiale aus dem Psalter des Serbischen Seminars in Belgrad, XVI Jahrh.

In meinem Berichte werde ich aus diesem umfangreichen Material Ihre Aufmerksamkeit nur auf jene wichtigere Beispiele lenken, welche im Zusammenhange mit den Problemen der ältesten mittelalterlichen westeuropäischen Kunst stehen.
Die Philologen haben die Chronologie der illuminierten serbischen Handschriften meist schon sicher festgestellt. Die Chronologie des Schreibens der Manuskripte kann aber keineswegs als einziges Kriterium für die Zeitbestimmung des Miniaturenstils angenommen werden. Die meisten unserer Handschriften des XIV Jahrhunderts besitzen Miniaturen im Stile desselben Jahrhunderts. Es gibt aber Handschriften des XIV und XV Jahrhunderts in welchen die Miniaturen nach Mustern des XI und XII Jahrhunderts mechanisch kopiert wurden. In den schweren Zeiten der Türkenherrschaft haben sich die Mönche der entlegenen Klöster sogar noch im XVI Jahrhundert zäh an die Muster des XII und XIII Jahrhunderts gehalten.
Es ist selbstverständlich, dass die Kopien dieser Meister der späteren Jahrhunderte ganz verschiedene Werte besitzen. In jedem einzelnen Falle muss eine genaue Analyse angewandt werden.
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Seite aus dem Dragon-Menäum, XIII Jahrh.

Hier ein Beispiel: Die Handschrift der Universitätsbibliothek in Zagreb R. 3349 stammt aus der ersten Hälfte des XV Jahrhunderts, was man nach den Wasserzeichen feststellen kann. Das Manuskript ist nämlich auf dem Papier italienischen Ursprungs, aus den Jahren 1416, 1424 und 1436, geschrieben, seine Initiale aber verraten eine ganz archaische Herkunft. Das Motiv des Tieres mit den Flechtband um den Hals und um die Füsse in diesem zagreber Psalter führt seinen Ursprung von ähnlichen Tieren der italienischen Plastik aus dem XI und XII Jahrhundert her. Das Tier auf dem oberen Teile der Archivolte des Portals der zerstörten Kirche Santa Margareta in Como - jetzt Museo Civico in Como - gehört in die Reihe der Denkmäler welche die Meister der Skriptorien auf der Balkanhalbinsel vom Anfange des XIII Jahrhunderts direkt inspiriert haben. In slavischen Manuskripten begegnet man diesem Motiv im Psalterium Bononiense - erste hälfte des XIII Jahrhunderts - und etwas früher, Ende des XII Jahrhunderts, in der serbischen Plastik auf dem westlichen Portal der Muttergotteskirche in Kloster Studenica. In der Zeichnung der Initiale des Zagreber Psalters blieb etwas vom romanischen Stil erhalten. Später im XVI. Jahrhundert, in einer Handschrift, die sich im Serbischen Seminar der Universität Belgrad befindet - nr. 43 - hat die Initiale desselben Typs die orientalischen Formen und Flechtbandornamentik aus den moslemischen Handschriften übernommen.
Das Motiv der wappenartig, symmetrisch, dargestellten Tiere wiederholt sich auf den Zierseiten der serbischen, mazedonischen und bulgarischen Handschriften vom XIII bis zum XVI Jahrhundert. Im sogenannten Dragan-Menäum aus dem XIII Jahrhundert - des Klosters Sográfu, cod. slav. nr. 55 - hat sich der romanische Ursprung des Motivs ganz klar erhalten; es ähnelt der Reliefplatte aus Civate die dem X oder XI Jahrhundert angehört. In der sehr späten Replik desselben Themas auf der Beatus-Seite eines Psalters aus der Sammlung des serbischen Patriarchats in Belgrad, aus dem XVI Jahrhundert ist das alte romanische Motiv in die Textilornamentik mit gewissen Beisätzen des typisch russischen Tiergefiechtes umstilisiert worden. Auch auf den Zierseiten mit ähnlichen Motiven begegnet man einem Detail welches in der italienischen Plastik des XI Jahrhunderts ziemlich geläufig ist: Ungeheuer welche Menschen verschlingen.
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Beatus-Seite des Psalters aus dem Patriarcha zu Belgrad, XVI Jahrh.

In den bulgarischen und serbischen Handschriften werden Ungeheuer dargestellt aus deren Schlund menschliche Hände und Füsse ragen. Auf den italienischen Reliefs zum Beispiel auf dem Kapitell in SAN FLAVIANO aus Montefiascone aus dem XI Jahrhundert sieht man die zwei Tiere einen Menschen entzweireissen. In den slavischen Handschriften ist diese Szene etwas diskreter illustriert, das Opfer ist nämlich fast ganz verschlungen, es ragt nur noch ein Fuss oder eine Hand aus dem Rachen. Ebenso ist dieses Motiv im bulgarischen Radomir Psalter - Sografu, cod. slav. nr. 47 - aus dem XIII Jahrhunderte dargestellt. In einer Handschrift der Bibliothek des alten serbischen Patriarchats zu PEC, einem Evangelium mit Apostolos, nr. 37, XVI Jahrhundert, wiederholt sich das Motiv des Radomir-Psalters in verschiedenen Varianten - es ist nämlich ein in seinem Wesen frühromanisches Thema, welches in der reichen Ornamentik der unteren Teile der Initialen seinen ursprünglichen Charakter verloren hat. Die Initialen dieses Manuskripts zeigen uralte Motive in sehr degenerierten Formen, an welchen die archaischen Elemente nur zum Zweck dekorativer Effekte angewandt wurden. Die serbischen Pergament-codices des XIII Jahrhunderts bezitzen vor- und früh-romanische Eigenschaften in viel grösserem Umfange. Im schon erwähnten Evangelium von Prizren sind derartige Miniaturen von sichtbar östlichen Elementen durchsetzt. Einige Reliefs aus Dalmatien berechtigen uns zur Annahme, dass der orientalische Einschlag dieser Miniaturen doch durch das Medium der Kunst der adriatischen Städte zur Geltung kam. Man könnte vielleicht sogar an ganz bestimmte Kunstzentren denken: an Split - Spalato - oder Zadar - Zara. Thomas Archidiaconus Spalatensis, ein bekannter Historiker des XIII Jahrhunderts, behauptet an einer Stelle seiner Historia Salonitana, in der Biographie des Erzbischofs Laurentius, dass im Dalmatien des frühen Mittelalters die Kunst des christlichen Ostens hoch geschätzt war.
In seinem Lobe der andächtigen Werke des Erzbischofs Laurentius erwähnt er auch diese Einzelheit: 'Tantum enim - sc. Laurentius - Studiosus exstitit ad ampliandum ac decorandum ecclesiae thesaurum, ut quendam... servum in Antiochiam ad discendum fabrilia opera auri et argenti dirigeret...' In der Quelle wird weiterhin erzählt, dass dieser Fachmann in seiner Kunst grossen Erfolg hatte, und dabei ausdrücklich der antiochische Einfluss auf seine Arbeiten unterstrichen.
Der Inhalt dieser Stelle aus der Historia Salonitana wird durch erhaltene Kunstdenkmäler bezeugt. Im Museum des Hl. Donat in Zadar-Zara - bestehen drei Reliefplatten aus dem XII Jahrhundert, zwei aus der Kirche Sta. Domenica, eine aus einem unbekannten Fundorte, drei Platten welche ihrem conspectus generalis nach an die Szenen des Evangeliums von Prizren erinnern - sie verbindet ein und derselbe orientalische Zug. Man könnte einwenden, dass die Meister serbischer Initialen, Ornamente und Szenen erst spät die Anfangsphasen der europäischen Kunst bewältigt, und dass sie dabei ihren eigenen Stil ganz unabhängig von den romanischen Vorlagen, geschaffen hatten.
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Die Darstellung im Tempel im Evangelistar aus Prizren, XIII Jahrh.

Man könnte auch auf den Gedanken kommen, dass diese gewisse Änlichkeiten loci communes aller primitiven Künste seien: ich erwähne als Beispiel dieses Schiff, im XVI Jahrhundert gezeichnet, welches an tapis de Bayeux errinert; oder diesen Evangelisten aus einem bosnischen Manuskript des XIV Jahrhunderts, bei welchem man an ähnliche Evangelisten aus dem VIII Jahrhundert denken muss. Alle hier angeführte Miniaturen mit Ausnahme des Miroslav-Evangeliars und Münchener Psalters, gehören nicht zu der führenden Schulen der altserbischen Malerei. Sie stammen aus den Skriptorien entlegener Klöster, darum musste die Frage gestellt werden, ob es überhaupt möglich ist aus diesem chaotischen Konglomerat verschiedener Elemente klare Folgerungen zu ziehen, und bestimmte Beziehungen mit der vor- und früh-romanischen Kunst des Westens festzustellen. Noch schwerer wäre es die chronologische Folge der Stilwechsel genau zu fixieren. Und doch ist es möglich auf die ersten Fragen eine sichere Antwort zu geben: die Beziehungen zu Apulien, welche bei dem Vergleiche des erhaltengebliebenen Materials in die Augen fallen, werden durch die schon erwähnte Historia Salonitana bezeugt. An einer Stelle wird ausdrücklich betont dass zwei Künstler aus Zadar, welche als Maler und Goldschmiede meistens in Bosnien weilten, aus Apulien stammten.
Ein Fund in Sarajevo, aus dem Jahre 1940, hat ganz unerwartet einen klaren Beweis für die betätigung süditalienischer Meister in Zentral-Bosnien in der zweiten Hälfte des XII Jahrhunderts geliefert. Es handelt sich um ein romanisches Kapitell welches jedem aus der Kirche SAN CATALDO in Palermo - 1180 — fast völlig entspricht.
Was das chronologische Problem anbetrifft, so ist es hier vorläufig unmöglich, Hypothesen auszuweichen. Welche Initialen in serbischen Handschriften, ihrem
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Psalter, XVI Jahrh., Serbisches Seminar in Belgrad

Stile nach, die ältesten sind, das kann man einwandfrei feststellen: es sind die capuanischen Initialen auf das cyrilische Alphabet angewandtChronologisch brauchen sie dennoch nicht als älteste betrachtet zu werden. Es wäre wohl möglich dass man zuerst die stilistisch jüngeren Elemente übernahm und erst später ältere. Ein solcher Fall hat zum Beispiel Ende des XII und Anfangs des XIII Jahrhunderts in der serbischen Monumentalmalerei stattgefunden. Auf den älteren Fresken des serbischen Grosszupans Nemanja in der Sankt-Georg Kirche bei Novi Pazar - cca 1170 - ist der Stil fortschrittlicher als auf den späteren Fresken im Kloster Studenica aus dem Jahre 1209. Dem Westen gehörte die serbische Kunst in ihren Anfängen, was man aus der Verschiedenartigkeit der Motive, und aus dem Reichtum der stilistischen Varianten ersehen kann. Der starke westliche Einfluss dauerte bis gegen Ende des XII Jahrhunderts. Zu dieser Zeit überschwemmte die hohe Kunst der Komnenen die serbischen Länder.
Die späteren Beispiele der serbischen romanischen Kunst blieben innerhalb des Rahmens der erreichten Entwicklung bis zum Ende des XII Jahrhunderts: das Fenster des Klosters Studenica - cca 1190 - wiederholt sich genau im Kloster Decani - cca 1340.
Und so steht es auch mit der Mehrzahl der späteren Beispiele westlicher Kunst bei den Serben; sie überschritten nämlich niemals die Entwicklungsphase der romanischen Kunst des ausgehenden XII Jahrhunderts, also die Zeiten als diese als entwicklungsfähiger Organismus bei uns lebte.


La Haye 1955