Ueber das angebliche Slaventum des Kaisers Justinian

von Nikola Radojčić


Auszug aus der im "Глас Српске краљевске академије. Други разред. CLXXXIV : 93 (1940) 169-248", veröffentlichen Abhandlung.

Der erste Historiker, der Kaiser Justinian zu einem Slaven machte, war Mauro Orbini (1601), als er ihn in die lange Reihe römischer Kaiser einfügte, die er nach ihrem Geburtsort für Slaven hielt. Er tat dies auf Grund seiner damals nicht allein stehenden Ueberzeugung : « che nell' Illirico fù sempre questa istessa fauella, che hora si trova; quantunque per la venuta de' Gothi, e Slavi al quanto sia stata alterata. Imperoche dovunque i primi habitatori non furono del tutto estinti, restò sempre il primo, & l'antico linguaggio di quel luogo, non ostante che fusse al quanto alterato, come si vede in Italia » (173). Da er bei glaubwürdigen Autoren fand, dass Kaiser Justinian in der Stadt geboren wurde, die er später Justiniana Prima nannte und von der man damals annahm, dass sie an der Stelle des heutigen Prizren oder Ohrid in Serbien stand, stellte Orbini fest : « Fù etiandio Slavo Giustiniano primo di questo nome Imperadore » (175). Die gesamte Familie, der Justinian entstammte, erklärte als slavisch Giacomo di Pietro Luccari (1605). In der Genealogie des Anonymus Antibarensis fand er als dritten Herrscher der Goten, die die heute jugoslavischen Gebiete erobert hatten, einen gewissen Selimir, von dem es dort heisst, dass er zwar « paganus et gentilis », jedoch den Christen zugeneigt gewesen sei und sein Land mit Slaven dicht besiedelt habe. Luccari wollte mehr wissen und schrieb : « Selimir dopò questo (come si vede nell' Efemeridi di Doclea) prese per moglie la sorella d'Istok Barone Slauo, il quäle haueua per moglie Biglenza sorella di Giustiniano, e madre di Giustino Imperatori Romani, i quali, com' hò veduto in un Diadario in Bulgaria, in lingua Slaua sono chiamati Vprauda, che significa Giustiniano, ò Giustino» (3).
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Il regno degli Slavi" (1601)

Beide Werke, geschrieben in italienischer Sprache, aber in slavischem Geiste gehalten, führten jedoch noch nicht Justinians Slaventum in die Geschichtsschreibung ein. Was ihrem slavischen Patriotismus nicht gelang, das erreichte die wissenschaftliche Autorität eines Nicolai Alemanni, des Herausgebers von Prokops Ἀνέκδοτα (1623). An verschiedenen Stellen seines gelehrten Kommentars versichert er, dass die Familie des Kaisers Justinian « illyrisch d. h. slavisch war. Von Justinian selbst bemerkt er S. 418 (ed. Bonn.) : « Uprauda a suis gentilibus dictus est Die Mutter des Kaisers ist nach ihm « Bigleniza soror Iustini» (Ibidem), der Vater « Sabatius... Istokus etiam appellatus est ab Illyriensibus. » (Ibidem), die Schwester « Vigilantia... fortasse ex Illyrico nomine Bigleniza » (Ibidem). Ueber diese schrieb er schon vorher « Biglenizam Iustiniani sororem, Vigilantiam Latini vocis similitudinem secuti dixerunt. » (Ibidem, 356). Bei allen diesen Behauptungen und verschiedenen anderen, die damit in Zusammenhang stehen, beruft er sich auf einen Autor, den er « Theophilus Iustiniani praeceptor » oder « Theophilus Abbas » nennt, und auf dessen Werk « Vita Iustiniani». Obwohl bisher niemand dieses Werk gesehen hatte, kam Justinian als Slave durch Alemanni dennoch in zahllose historische Werke, darunter auch solche der besten Geschichtsschreiber. Hinter dieser Behauptung stand lediglich der ehrliche wissenschaftliche Name des N. Alemanni. Der erste, der in vorsichtiger Weise das Slaventum Justinians und dessen Namen Upravda anzweifelte, war der deutsche Historiker Robert Roessler (1873). Wesentlich entschiedener setzte das Slaventum des grossen byzantinischen Kaisers in Zweifel Wilhelm Tomaschek (1874-1877), wobei er in seine sonst ausgezeichneten Darlegungen eine gewisse slavenfeindliche Note legte, die vielleicht mehr Ablehnung als Zustimmung — wenigstens bei den Slaven — hervorrief.
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Joannes Tomco Marnavich (1580-1637)

Einen entscheidenden Umschwung in dieser wissenschaftlichen Frage, deren Beantwortung immer mehr Sache des Gefühls geworden war, brachte James Bryce durch seine gleichzeitig in englischer und italienischer Sprache erschienene Studie « La Vita Justiniani di Teofilo Abbate » (1887), nachdem er diese Schrift im Cod. Barber. XXXVIII 49 (j. in der Vatikanischen Bibliothek als Barb. lat. 3033) gefunden hatte. Aus der Schrift selbst war ohne weiteres klar, dass der bekannte Fälscher grossen Formats Joannes Tomco Marnavich (1580-1637) wenigstens mit ihr in Verbindung stand, es lag aber auch sofort der Gedanke nahe, dass es sich hier überhaupt um eine seiner zahlreichen gefährlichen Fälschungen handle. Trotzdem urteilte J. Bryce über diese Schrift und die Rolle Marnavichs bei deren Entstehung sehr vorsichtig und vornehm. Er bedauerte es vor allem, dass er Marnavichs Schrift « De Illyrico, Caesaribusque Illyricis » nicht auf die Spur kommen konnte, von der man annahm, dass sie verloren sei. Er war der Meinung, dass man gerade durch diese Schrift am meisten die Frage der Entstehung der « Vita Justiniani » aufhellen könne. J. Bryce fügte seiner Abhandlung eine Ausgabe der von ihm entdeckten Handschrift bei. Sie ist jedoch nicht fehlerfrei. Aus dieser Schrift konnte man ohne allen Zweifel erkennen, dass sie die einzige Quelle zu N. Alemannis Behauptung vom Slaventum Justinians und dessen Familie gewesen ist. Die « Vita Justiniani » ist die angebliche Uebersetzung eines slavisch geschriebenen Werkes, das ein Abt Bogomil (Theophil), der Erzieher Justinians und spätere Bischof von Sardika unter dem Namen Domnio, verfasst haben soll. Tatsächlich ist sie aber ein Falsifikat J. T. Marnavichs, das genau nach derselben Art hergestellt ist, wie so viele andere kühne Falsifikate dieses unruhigen und ruhmsüchtigen Phantasten.

Die Arbeit J. Bryces löste einen ganzen Schwall von Studien über das angebliche Slaventum Justinians aus. Unter diesen ist besonders wichtig der Artikel Vatroslav Jagics, in dem dieser unter andern erklärte, dass «Upravda eine sehr auffallende Nachbildung des latein. Justinianus » sei (Archiv für slav. Phil. XI, 1888, 302) und dieser Name zwischen 1601 und 1605 geschmiedet worden sein muss, denn « dieser Berechnung entspricht auch der sprachliche Charakter der Namen» (Ibidem, 303). Die Sache verhält sich jedoch anders.

Der Vortragende hat die Arbeitsmethode J. T. Marnavichs besonders an dessen Biographie des Hl. Sava, des Begründers der serbischen Volksbildung, studiert. Er konnte sich hier überzeugen, dass Marnavich zu jenen gefährlichsten Fälschern gehört, die nicht alles glatt erfinden, sondern durch eine geschickte Verbindung von historisch gut bezeugten Tatsachen mit ihren eigenen Hirngespinsten sehr komplizierte Schriften verfassen, die sich wissenschaftlich nur schwer analysieren lassen, da es nicht leicht ist, zu sagen, was an ihnen historische Wahrheit, was kühne Phantasie ist. Namen hat Marnavich nur ungern erfunden, was sich mit Sicherheit nachweisen lässt. Der Vortragende konnte in den historischen Quellen tatsächlich Personen mit dem serbischen Namen Upravda finden, der die wichtigste Grundlage für die Behauptung bildet, Justinian sei Slave gewesen. Marnavich verlegte nur diesen Namen aus dem serbischen XV. Jahrh. ins byzantinische VI. und übertrug ihn von serbischen Personen auf den byzantinischen Kaiser Justinian. Dasselbe tat um dieselbe Zeit oder schon etwas früher Luccari, dem der Name Upravda zweifellos auch bekannt gewesen sein muss. Dem Vortragenden gelang es ausserdem, Marnavichs Schrift « De Illyrico, Caesaribusque Illyricis » aufzufinden, in der sich natürlich auch eine Biographie Justinians findet und deren hauptsächlichste, ja fast einzige Quelle der Vortragende gleichfalls feststellen konnte. Nach dieser Arbeit aus den jüngeren Jahren des J. T. Marnavich lässt sich erkennen, dass er bei der Slavisierung hochgestellter Personen um Justinian nicht mit diesem selbst begann, sondern mit dessen grossem Feldherrn Belizar. Er ist ihm schon nach dieser Schrift ein Slave, dessen Name « veli(ki) car» (= grosser Kaiser) bedeutet. Mit der Slavisierung Justinians begann er jedoch erst, nachdem er den serbischen Namen Upravda gefunden hatte. Dieser Name war dann auch der Anlass zu der Fälschung von Justinians Abstammung und nicht das Resultat.
Auf diese Weise dürften die dunklen und verworrenen Wege des Joannes Tomco Marnavich vollkommen aufgedeckt werden, auf denen er Kaiser Justinian und dessen Familie zu Slaven gemacht hat, eine Legende, die sich, auch heute noch ab und zu wiederholt.
In:
Ο тобожњем словенском пореклу цара Јустинијана