Justiniana Prima und Graf Georg Branković

von Nikola Radojčić

I.

Der Einfluß der Chroniken des Grafen Georg Branković und der Auszüge daraus auf die Entwicklung der modernen serbischen Historiographie ist gegenwärtig so weit erforscht, daß man die Spuren ihrer Benützung in den Hauptzügen feststellen kann. Ich sage ausdrücklich in den Hauptzügen, denn für eine allseitige Verfolgung ihrer Einflüsse auf die Entstehung, Konzeption und Komposition der serbischen historischen Werke im 18. Jh. wäre eine Veröffentlichung der ganzen Chroniken oder zumindest der wichtigsten Auszüge aus denselben im Druck überaus wichtig. Sie steht leider noch aus. Die Wissenschaft ist daher in dieser Hinsicht auf die Arbeiten jener Forscher angewiesen, die es gewagt hatten, die umfangreichen Chroniken und einzelne Auszüge aus ihnen in der Handschrift zu studieren und das Verhältnis der Auszüge aus den Chroniken zum Original festzustellen. Allein, die Zahl dieser Forscher ist recht klein, und es besteht die Gefahr, daß sich diese wegen des ungeheuren Umfangs der Chroniken und ihres schwierigen Stils noch vermindern wird. Die Lage ist also weit entfernt von dem, was vom wissenschaftlichen Standpunkt aus erwünscht wäre, sie wird aber noch ungünstiger, schneidet man noch eine andere Frage an. Ich denke hier an das Problem des Einflusses der Werke Brankovićs, seiner amtlichen und privaten Korrespondenz sowie seiner ganzen komplexen Persönlichkeit auf die Ausbildung der modernen serbischen politischen Ideologie, insbesondere auf die serbischen Forderungen hinsichtlich eines gesonderten autonomen Territoriums für das nach Ungarn übersiedelte serbische Volk. Unermüdlich forderte Graf Georg Branković für sich, als angeblichen Nachfolger der serbischen Despoten, weite Gebiete in Ungarn, die einstmals im Besitz der serbischen Despoten waren. Er verlangte ein serbisches Despotat am linken Ufer von Save und Donau, solange es nicht möglich sein würde, nach dem Zerfall der Türkei die Grenzen weiter nach Süden zu verlegen. Aufgewachsen, erzogen und politisch gebildet in den sieben-bürgischen Traditionen, mußte das Bestreben Brankovićs dahin gehen, daß das von den Serben besiedelte Gebiet Ungarns in ein ähnliches Verhältnis zu Ungarn komme wie Siebenbürgen. Wie alle territorialen Probleme in der Habsburger Monarchie war auch die Stellung Siebenbürgens und Ungarns gegenüber dem Gesamtreich äußerst kompliziert. Es bedurfte daher großer historischer und juridischer Kenntnis, wie auch politischer Erfahrung, um sich in diesem Gestrüpp politischer Bestrebungen und den Möglichkeiten ihrer Verwirklichung geschickt bewegen zu können. Die nach der Großen Einwanderung von 1690 in Ungarn angesiedelten Serben verfügten nun keineswegs über diese Geschicklichkeit. Graf Georg Branković war jedoch eine Persönlichkeit, die ihnen, was Gelehrsamkeit und Erfahrung anbelangt, helfen konnte, sich darin zurechtzufinden. Damit möchte ich jedoch nicht sagen, daß nicht auch unter den schon früher in Ungarn angesiedelten Serben irgendeine Persönlichkeit gewesen wäre, die sich in die damaligen Verhältnisse eingelebt und über eine gewisse Erfahrung verfügt hätte, um sich der politischen Lage der Serben anzunehmen. Es gab vermutlich solche Serben, ihr Wissen und ihre Erfahrung standen jedoch tief unter der Gelehrsamkeit und der politischen Erfahrung des Grafen und noch tiefer unter dessen Ansehen als serbischer Despot.
Hinsichtlich seiner Person war man — wenigstens zum Teil und vorübergehend — überzeugt, daß er das Recht habe, nicht nur die Serben zu beraten, welche Haltung sie gegenüber den österreichischen Behörden einzunehmen hätten, sondern diese auch anzuordnen. Ungewohnt der neuen Umgebung, aber scharfsinnig, gelangten die Serben zweifellos unter den Einfluß der politischen Auffassungen des Grafen Georg Branković, doch machten sie sich seine verschwommenen Anschauungen nicht zu eigen. Nicht einmal in der ersten Zeit nach der Großen Einwanderung übernahmen sie seine politischen Ratschläge, sondern versuchten ihre eigenen traditionellen Auffassungen der Beziehungen zu einem fremden Staat mit jenen zu vereinen, in die sie der gelehrte Graf einführte.
Es ist sehr bedauerlich, daß wir nichts Genaueres über den Beginn und den Umfang der Beziehungen des Grafen Georg Branković zu den serbischen führenden Persönlichkeiten am Ende des 17. Jh.s wissen, als er daran glaubte, seine kühnen Pläne verwirklichen zu können — Despot eines gesonderten Despotats zu werden. Dessen Grenzen schwebten ihm im Nebel der historischen Traditionen vor Augen, die er außerdem willkürlich deutete, mit derselben Verworrenheit, mit der er seine Abkunft von der serbischen Despotenfamilie der Brankovićs herzuleiten versuchte.

In der Wissenschaft war die Ansicht eingewurzelt, daß die engeren politischen Beziehungen zwischen dem Grafen und den damaligen serbischen politischen Persönlichkeiten erst eine gewisse Zeit nach der Ansiedlung der Serben in Ungarn im Jahre 1690 begonnen hätten. Jovan Radonić versuchte indessen den Einfluß des Grafen auf den Inhalt und die Richtung der serbischen politischen Forderungen gleich an den Beginn der serbischen Unterhandlungen mit Österreich, also auf den Belgrader Sabor vom 18. Juni 1690 zu verlegen. Cfr.

Es gibt wenige so umstrittene Fragen in der serbischen Historiographie, wie jene nach dem Wesen des serbischen Übertritts nach Ungarn im Jahre 1690, nämlich die Frage, ob die Serben damals auf Grund einer Vereinbarung, per modum pacti, kamen oder nicht. Die Literatur über dieses dornige Problem, sei es rechtshistorisch, sei es politisch, ist nicht zu übersehen, wobei es mehr in rationalistischer Weise behandelt wurde, als auf Grund der historischen Quellen, vor allem der frühesten und primären. Obwohl das Vorhandensein dieser Quellen schon lange bekannt war, wurden sie erst 1895 von Kamenko Subotić unter dem Titel „Die Verträge zwischen Leopold I. und dem serbischen Volk" veröffentlicht. Cfr. In der Ausgabe dieser Quellen finden sich Lese-, Abschreib- und Druckfehler, dennoch bildet diese Veröffentlichung ein großes und hochwillkommenes Ereignis in unserer Wissenschaft und wurde auch als solches aufgenommen. Es handelt sich um drei Dokumente: das Beglaubigungsschreiben (Kredenzional) für Isaija Djaković, die Artikel, in welchen eine national-kirchliche Organisation verlangt wird, und die Anerkennung der Souveränität Leopolds I. seitens des Patriarchen. Alle tragen das Datum des 18. Juni 1690 und gelten als Beschlüsse des Belgrader Sabors gleichen Datums.

Es ist nicht meine Absicht, an dieser Stelle Inhalt und Tragweite dieser Dokumente eingehend zu behandeln, sondern ich möchte nur eine Frage herausgreifen — die Beziehung des Grafen Branković zu Justiniana Prima. Es ist dies um so notwendiger, als Branković die Grenzen des Erzbistums Justiniana Prima mit den Grenzen der römischen Provinzen und mit den Grenzen der mittelalterlichen Staaten auf der Balkanhalbinsel vermengt, vor allem aber mit der Ausdehnung des serbischen Despotats, dessen Herrscher er werden wollte. Lassen sich nun Spuren seiner antiquarischen und politischen Konzeptionen in den erwähnten drei Dokumenten finden?

Jovan Radonić hat die Frage bejaht und daher einen früheren Zeitpunkt für den Beginn seines politischen Einflusses auf die hohe serbische Politik angesetzt als bis dahin angenommen wurde. Sein Ausgangspunkt bildete dabei das dritte Dokument, das Schreiben des Patriarchen Arsenije III. an Kaiser Leopold I. Da sich Radonić in die Chroniken des Grafen Branković genügend vertieft hatte, war es ihm nicht schwer festzustellen, daß schon der Anfang des Schreibens mit seiner feierlichen Wirrheit und Ungenauigkeit an jene anklingt:

«Сьборо народное посланіе и жалователное прошеніе народа славеносрьбскіе земли. босанскаго и херцеговскаго сьбраніа. до поль Блгаріе и далматискыих краев чести земли. Подгорице, и окрьстніихь сель іее іоаноплскаго прѣдела народоу и въсех окрьстніихь краевь земли нашее, еже опредѣлише нам древліе сьмодржавни и светопочивши крали наши». Cfr.

Die Ausdrucksweise, die Unkenntnis der tatsächlichen Verhältnisse und das Bestreben, die antiquarische Gelehrsamkeit hervorzuheben, all dies geht zweifellos auf Branković zurück. Aber in seinem weiteren Darlegungen tritt das Schreiben aus dieser verschwommenen und nebulosen Einleitung heraus und wendet sich mit klaren und lebhaften Worten an Kaiser Leopold I., obwohl das Schreiben im Druck mit vielen Fehlern veröffentlicht ist. Ich möchte aus ihm nur jene Stelle hervorheben, die Branković niemals in dieser Art geschrieben hätte, wie wir sie jetzt vor uns haben. Es wird hier der Freude der Serben darüber Ausdruck verliehen, daß nun nach 301 Jahren die serbische Jugend wieder die Waffe an der Seite trägt, die man ihr damals genommen hatte. Diese traurige und stolze Erinnerung ist von einem Kriegsruf begleitet, wie er dem Serben im Blut liegt, doch dem Grafen Branković fernsteht: Nichts sei ihnen lieber als die Waffe, es sei denn die Seele und das Himmelreich.

«Чтоже ест дражеишеіе, ничтоже ино на семоу светоу тачно бити можеть. кроме доуше и царствіа небеснаго, еже бѣхом от триста и едно лето изгубили, то вь даны при дрьжаве светлаго цесарства и велможаставнаго цесара нашего сіа пакы обрѣтохом». Cfr.

Im weiteren Teil des Briefes mögen sich vielleicht noch Spuren der Gelehrsamkeit des Grafen finden, aber wenn sie auch tatsächlich vorhanden wären, würden sie bei der Natürlichkeit der Ausdrucksweise verschwinden. Graf Georg Branković, der früher ein hoher siebenbürgischer Diplomat war, hätte niemals ein offizielles, an den Kaiser gerichtetes Schreiben mit dem serbischen volkstümlichen Wunsche auf ein langes Leben und einen Sieg über die Ungläubigen für Kaiser Leopold I., dessen Söhne und schließlich die Kaiserin selbst geschlossen.

Jovan Radonić hatte gewiß recht, wenn er den Einfluß Brankovićs auf den Inhalt und den Stil dieses Briefes hervorhob, doch war es nicht ausschließlich Brankovićs Einfluß, wie es Radonić im ersten Augenblick behauptete: „Daß der Brief von Georg Branković stammt, geht nicht nur aus der Sprache, dem Stil und dem gelehrten Ton hervor, sondern vor allem daraus, daß er sich auf alte serbische Chroniken und auf den Staat des Kaisers Augustus beruft. Schließlich spricht die lateinische Übersetzung dieses angeblichen Patriarchenbriefes, die von der Hand des Grafen Branković geschrieben ist, entscheidend dafür, daß Branković diesen Brief des Patriarchen im Einverständnis mit dem Bischof Isaija verfaßt und dem Patriarchen unterschoben hat". Cfr.

Die Berufung auf alte Chroniken und auf Kaiser Augustus lag jedoch nicht jenseits des Horizonts der damaligen gebildeten Serben, weshalb dieser Beweis an Überzeugungskraft verliert. Was weiter die lateinische Übersetzung anbelangt, konnte Graf Branković schließlich auch einen Brief übersetzen, der nicht von seiner Hand stammte. Radonićs Annahme gründet sich auf die Meinung, der Bischof Isaija Djaković hätte Blanco-Papiere mit den Unterschriften des Patriarchen Arsenije III. für das zweite und dritte der erwähnten Dokumente nach Wien mitgenommen, wo man dann erst die Briefe verfaßt habe. Für das erste Dokument war eine derartige Annahme schon deswegen unmöglich, weil es viele originale Unterschriften und Siegel aufweist. Radonićs Annahme kann ich mich nicht anschließen, denn erstens besteht die Möglichkeit früherer Verbindungen der serbischen Volksführer mit Graf Branković und damit auch die Möglichkeit einer Einflußnahme auf sie, und zweitens bezweifle ich, daß die Serben damit einverstanden gewesen wären, daß der Patriarch Arsenije III. seine Blanco-Unterschrift zu so wichtigen Dokumenten wie diese gegeben hätte. Und drittens finde ich in denselben einen Unterschied zwischen der Konzeption Brankovićs und der allgemein nationalen der Serben.

In seinem Bestreben, den Einfluß des Grafen Branković auf die Beschlüsse des Belgrader Sabors vom Jahre 1690 nachzuweisen, geht nun Jovan Radonić vom dritten Dokument, wie es im Letopis Matice Srpske veröffentlicht ist, auf das zweite über und hebt mit guten Gründen hervor, daß nur Branković Serbien, Bulgarien, Justiniania, Dalmatien, Bosnien, Illyrien, Herzegowina und Montenegro, aber auch Kroatien, Ungarn, Syrmien und Jenopolia, wo Serben siedeln, in den Bereich des alten serbischen Staates einbeziehen konnte. Cfr. Von allen diesen hier erwähnten Ländern und Gebieten konnte nur Branković Justiniania und Jenopolia (Chişineu-Criş, Kisjenő) hervorheben, Justiniania auf Grund seiner Gelehrsamkeit, Jenopolia als seine engere Heimat. Im ersten der drei veröffentlichten Dokumente, dem Beglaubigungsschreiben „kniga krdenaconališъ." (litte-rae credentionales), das dem Bischof Isaija Djaković vom Sabor ausgestellt wurde, suchte Radonić dagegen nicht nach Spuren der Gelehrsamkeit des Grafen.
Doch könnte man sie auch hier schon im Ausdruck „knigu krdenacionališъ" vermuten, womit natürlich „credentionales litterae" gemeint sind, ein in Peć nicht gebrauchter Ausdruck. Radonić hob auch die „Unbeholfenheit" in der Abfassung dieses Dokumentes hervor und versuchte sie auch damit zu beweisen, daß „man vergessen hätte, das Jahr hinzuzufügen". Aber man hat es gar nicht vergessen, sondern in ungeschickter Weise mit arabischen Ziffern hinzugefügt, deren sich die Serben damals nicht bedient hatten. Daß das Datum hinzugefügt wurde, zeigt deutlich die Photographie des Dokumentes. Der Herausgeber konnte jedoch eine so geschriebene Jahreszahl nicht lesen und ließ sie daher in der Publikation aus. Auch für das zweite Dokument vermutet Radonić, daß es nicht auf dem Sabor selbst verfaßt wurde, u. zw. weil es „falsch datiert" sei. Auch das stimmt nicht. Das Dokument ist genau datiert, doch steht in der gedruckten Ausgabe ein „И" anstelle eines deutlichen ,,Ч" im Original. Bemerkt sei noch, daß die Jahreszahl auch im dritten Dokument, ebenso wie im ersten, mit arabischen Ziffern angegeben ist; hier konnte sie der Herausgeber aber lesen.

II.

Der Einfluß des Grafen Branković auf die Bestimmung von Lage und Ausdehnung des mittelalterlichen serbischen Staates und die Bezeichnung seiner Teile läßt sich bereits auf Grund der Dokumente feststellen und verfolgen, die unter anderen Jovan Rajić und Gavrilo Vitković veröffentlichten. Und zwar in zweierlei Hinsicht: einmal wie die Grenzen angegeben werden und zum anderen durch die Hervorhebung der Titel des Grafen Branković, des Patriarchen und anderer Persönlichkeiten. Aus der Fülle der gespreizten und gelehrten Darlegungen des Grafen seien hier nur seine Angaben über das Gebiet des Erzbistums Justiniana Prima herausgegriffen, wobei er unter der Bezeichnung „Justiniania" nicht nur ein kirchliches, sondern auch ein politisches Gebilde versteht. Cfr.Das geht bereits aus der Denkschrift und dem Gesuch hervor, die Graf Georg Branković entweder selbst an den kaiserlichen Hof gerichtet oder dem Patriarchen Arsenije III. bzw. anderen Persönlichkeiten unterschoben hat. Am deutlichsten — soweit nämlich bei ihm von Deutlichkeit überhaupt die Rede sein kann — geht seine Gleichsetzung Serbiens mit dem Gebiet des Erzbistums Justiniana Prima aus der Beilage zur ersten, an den russischen Gesandten gerichteten Bittschrift hervor. Der Text dieses Dokuments wurde von Stevan Dimitrijević lateinisch mit Übersetzung ins damalige Russisch veröffentlicht. Das lateinische Original ist indessen mit so vielen Druckfehlern veröffentlicht, daß man es stellenweise nur mit Hilfe der russischen Übersetzung verstehen kann. In diesem behauptet der Graf, daß das „in Imperio Illyriae existens Despotatus Slavo-Serborum" auf Grund der 11. Novelle Kaiser Justinians — es ist die Novelle über die Gründung des Erzbistums Justiniana Prima — und auf Grund einer Verordnung des Kaisers Alexios III. Angelos „in Potestate dignitatis suae in posterum pariter imperturbate permanere debeat una cum omnibus suis Regionibus, Ducatibus, Principatibus atque cunctis iisdem annexis et in circuitu adjacentibus Provinciis uti olim usque ad tempus Georgii Despoti antiquo cognomine Brancovich nuncupati erat".

Nach Graf Branković bestünde also das serbische Despotat auf Grund der 11. Novelle Kaiser Justinians I. und der Konstitution Kaiser Alexios' III. Angelos. Zum Beweis seiner Behauptung beruft er sich auf die bekannte Hankesche Chrestomathie byzantinischer Schriftsteller, Teil II. Kap. 8, Paragraph 3, S. 680. Für die 11. Novelle Justinians wird nicht angegeben, wo sie sich findet, vermutlich in der Voraussetzung, daß diejenigen, an die sich die Bittschrift wendet, ohnehin wußten, wo sie zu finden wäre. Sie war damals bereits dreimal im Druck erschienen. Daß darin von einem slavo-serbischen Despotat keine Rede ist, störte den Grafen nicht weiter, verstand er doch ärgere Unmöglichkeiten als Tatsachen hinzustellen. Aber was steht an der angegebenen Stelle der Hankeschen Chrestomathie? Nichts anderes als die Angabe, daß Kaiser Alexios „novam Despotae dignitatem primus ab Imperatoria secundam constituit", wie aus dem Vers des Matthaeus Iatrus hervorgeht: „Μετὰ τὸν αὐτοχράτορα πρῶτός ἐστι δεσπότης".

Aus der 11. Novelle Justinians und der Konstitution des Kaisers Alexios III. über die Despotenwürde leitet nun Graf Georg Branković das Recht des serbischen Despotats als Nachfolgerin von Justiniana Prima für immerwährende Zeiten ab, im gegenwärtigen Augenblick aber das Recht auf die Erneuerung des Despotats mit allen seinen Gebräuchen, Gesetzen und Verordnungen u. zw. unter ihm als Despot Georg II., da er ja seine Abstammung von der Dynastie Branković ableite. Die Grundlage für die Ausdehnung des Despotats bilden für ihn die Grenzen des Erzbistums Justiniana Prima, wie er sie willkürlich deutet, die Grundlage für die Art und Würde der Despoten wurde die Konstitution des Kaisers Alexios III. Angelos und der Vers des Matthaeus Iatrus.

Es wäre falsch, in der Behauptung des Grafen ein einzigartiges Beispiel eines Betruges — und sei es auch nur eines Selbstbetruges — zu sehen, denn damals, in der Zeit nach der Niederlage der Türken vor Wien, aber auch zuvor, wurden noch phantastischere Behauptungen erfunden hinsichtlich des Alters von Staaten, Kirchen und Familien. Von den Kirchen, die sich damals um ein möglichst hohes Alter ihrer Selbständigkeit bemühten, bildete auch das Erzbistum Ohrid keine Ausnahme, dessen Oberhäupter die Gründung vom 11. Jh. ins 6. vorverlegten. Damit hatten sie so viel Erfolg, daß man jahrhundertelang — fast einhellig — glaubte, daß das Erzbistum Justiniana Prima mit dem von Ohrid identisch sei und demnach alle Rechte der altehrwürdigen Gründung Justiniana Prima dem Erzbistum Ohrid zustünden. Diese Behauptung beruht jedoch auf einer offensichtlichen Erfindung, deren Spuren sich bis zu Bischof Michael von Deabolis ins 12. Jh. verfolgen lassen. Cfr.

III.

Der Kirche von Ohrid schienen die Justiniana Prima verliehenen Rechte und angeblichen Privilegien viel wichtiger und nützlicher als die Chrysobule des Kaisers Basilios II., durch die das autonome Erzbistum Ohrid gegründet wurde. Je höher das Alter, desto größer die Rechte! Dieser Meinung war man das ganze Mittelalter hindurch, auch in Ohrid. Daher basierte man die Gründung des Erzbistums auf die umgearbeitete 11. Novelle Kaiser Justinians I., die man mit der Präambel der echten Chrysobule Kaiser Basilios' II. über die Gründung des autonomen Erzbistums Ohrid verband. Diese sonderbare und folgenreiche Kompilation wurde von Georgios Rallis und Michael Potlis 1855 im 5. Bande ihres Syntagmas herausgegeben. Hinsichtlich der sogen. Chrysobule Justinians erklären die Herausgeber, daß sie diese nur deshalb veröffentlicht hätten, weil in ihr auch die griechische Übersetzung der echten 11. Novelle erhalten sei, die man bis dahin nur in lateinischer Sprache kannte. Im übrigen sahen die Herausgeber in ihr nur eine gefälschte Chrysobule („τὸ χρυσόβουλον... ὑποβολιμαῖον"), am wahrscheinlichsten aus dem
13. Jh., als die Ansicht, Ohrid sei das alte Erzbistum Justiniana Prima, bereits gefestigt war. Dazu möchte ich bemerken, erstens einmal, daß sich die Zeit dieser Fälschung sehr schwer feststellen läßt, und zweitens, daß in dem Abschnitt, in welchem Kaiser Justinian I. dem Erzbischof der von ihm gegründeten Stadt Justiniana Prima angeblich hohe geistliche und — wie ich besonders hervorheben möchte — auch weltliche Macht verleiht, überhaupt keine Übersetzung der 11. Novelle ins Griechische vorliegt. Der Kompilator der Fälschung hat zwar diese kaiserliche Novelle gekannt und sie anfangs auch so weit übersetzt, bis er zu den Rechten des Erzbischofs von Justiniana Prima kam. Von hier an, insbesondere wo von der Wahl die Rede ist, beginnen jedoch kühne und grobe Erfindungen, weit ärger als jene, die die in der Tat ja sehr ausgedehnten Grenzen des Erzbistums betreffen. Cfr. Der Träger dieser Würde wird hier mit den höchsten kirchlichen und weltlichen Fürsten gleichgestellt; von seiner Macht sollte als sprechendes Symbol das ihm vom Kaiser verliehene Wappen zeugen. Den modernen Herausgebern dieses Falsifikates stand eine Abschrift desselben aus dem 18. Jahrhundert zur Verfügung, in der die Namen der Personen und Städte aus der 11. Novelle stark durcheinander gebracht sind. Cfr. Am ärgsten ist auch hier die Verwechslung von Thessalonike mit Thessalien und die Verdrehung des Namens des Bischofs Meridianus in einen Bischof von Mesembria. Dies sind in formaler Hinsicht die ärgsten Fehler des Falsifikators und seines Abschreibers, am folgenschwersten ist jedoch die Hervorhebung der weltlichen Gewalt des Erzbischofs von Justiniana Prima, „des Herrschers und Dynasten beider römischer Reiche". Trotz dieser Unmöglichkeiten und Geschmacklosigkeiten hat — allerdings spät, erst in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts — Κ. Ε. Zachariä von Lingenthal unwiderleglich nachgewiesen, daß Justiniana Prima nicht mit Ohrid identisch ist. Wo lag nun diese Stadt?
Eine überzeugende Lokalisierung ist bis heute nicht möglich. Man hat von wissenschaftlicher Seite die Lage von Justiniana Prima zunächst auf Grund der historischen Quellen, seit kurzem auch auf Grund der Ergebnisse der archäologischen Terrainforschung zu lokalisieren versucht. Anders von politischer Seite, sowohl von kirchlicher wie staatlicher. Von dieser Seite wurde der Sitz des von Kaiser Justinian gegründeten Erzbistums jeweils in jene Stadt verlegt, der man das altehrwürdige Ansehen und die großen Rechte von Justiniana Prima übertragen wollte. Graf Georg Branković interessierte sich nicht so sehr für die Lage der Stadt Justiniana Prima, als vielmehr für die Ausdehnung des Erzbistums und seine angeblichen politischen Rechte, an die man zu seiner Zeit noch auf Grund der gefälschten Urkunde für die Ohrider Metropolie glaubte. Er nannte als erster den Patriarchen Arsenije III „Istočne Prve Justinijanske crkve arhiepiskop i patriarh", wie sich dieser selbst niemals unterschrieb. Er gab dem Patriarchen diesen Titel, um sich selbst in ähnlicher Weise „Georgie despot Prvo Justinianskog otačastvii, i vasoi Sloveno-Srbskoi Ilirii i Misiam i proč" nennen zu können. Cfr.

IV.

Graf Georg Branković war nicht der erste und auch nicht der frechste, der sich die tatsächlichen oder erfundenen Rechte des Erzbischofs von Justiniana Prima anzueignen versuchte. Das Erzbistum Ohrid rühmte sich Jahrhunderte lang seines hohen Alters, seines Ansehens und seiner Rechte. Selbst der ökumenische Patriarch von Konstantinopel betonte — gewissermaßen als Entschuldigung für die Anerkennung des selbständigen bulgarischen Patriarchats von Trnovo —-, daß sich dessen Rechte aus den Privilegien des Erzbistums Justiniana Prima ableiten. All das vor den kühnen Phantastereien des Grafen Branković, der nur den Spuren anderer folgte, als er die Rechte des Erzbistums Justiniana Prima auf das autokephale Patriarchat von Peć übertrug und im gleichen Atemzug die Anfänge des serbischen Despotats in die Zeit Kaiser Justinians verlegte, um auf diese Weise dessen Legitimität und Rechte zu verewigen.
Dabei fälschte er nicht die 11. Novelle Kaiser Justinians, deren Originaltext ihm bekannt war, sondern bediente sich der verfälschten und erdachten, angeblich dem Kirchenfürsten von Ohrid ausgestellten Chrysobule. Vermutlich kursierte dieses Falsifikat auch in Konstantinopel, wo sich der gelehrte Graf längere Zeit aufhielt, und mehr noch in der Walachei, seiner zweiten Heimat, in der das griechisch-römische Recht als anerkanntes Recht galt. Cfr.

Besondere Beachtung verdient die Tatsache, daß das erwähnte griechische Falsifikat nicht allein da war, sondern daß es auch ein lateinisches gab, das dem Grafen Branković gleichfalls zugänglich gewesen sein konnte. Ich möchte dieses nicht außer acht lassen, obwohl die mir zur Verfügung stehende Version aus späterer Zeit stammt, doch sicher auf eine ältere zurückgeht.

Der bedeutende ungarische Historiker Georg Pray verfaßte in seinen „Dissertationes historico-criticae in Annales veteres Hunnorum, Avarum et Hungarorum" auch einen ausgezeichneten Abschnitt über die Vergangenheit Syrmiens. Er steht gleich am Anfang seiner fünften „Dissertatio". Da Kaiser Justinian in seiner 11. Novelle erklärte, daß er die Rechte der alten Kirche zu Sirmium (Srem. Mitrovica) auf das neugegründete Erzbistum Justiniana Prima übertrage, war Pray mit Recht der Meinung, er müsse in seine gelehrte Abhandlung über die Vergangenheit Syrmiens auch all das aufnehmen, was zum Verständnis der 11. Novelle wichtig ist. Daher druckte er auch eine beglaubigte lateinische Übersetzung des griechischen Textes der angeblichen 11. Novelle des Kaisers Justinian ab, obgleich er vermutete, daß der Text verdächtig und interpoliert sei: „Etsi mihi id quibusdam ex causis suspectum prorsus, ac interpolatum videatur". An der Spitze seiner überaus reichen und wertvollen handschriftlichen Quellensammlnng, die heute in der Universitätsbibliothek zu Budapest verwahrt wird, steht eben die lateinische Übersetzung der angeblichen griechischen 11. Novelle. Diese Ehre verdient sie allerdings nicht! Wie in der Übersetzung erklärt wird, sei die berühmte Novelle, von der hier die Rede ist, zunächst aus dem lateinischen Original ins Griechische übersetzt worden, sodann der griechische Text wieder ins Lateinische. Allein, weder der griechische Text, noch seine lateinische Übersetzung sind Übersetzungen der 11. Novelle, sondern zum Teil Paraphrasen, zum Teil — und zwar mehr noch — Falsifikate derselben. Der ganze Text, wie ihn Pray bringt, sei angeblich die lateinische Übersetzung des Originals: „ab originario Diplomate Graeco", beglaubigt am 12. Dezember 1736 zu Sauste durch Demetrius Musaki, der sich den volltönenden Titel „Secretarius & inclyti Consiiii Auditor" gab. Wessen? Was für ein?

Ich habe diese Übersetzung der angeblich echten Chrysobule Kaiser Justinians I. mit der angeblichen griechischen Chrysobule desselben Kaisers, wie sie im Syntagma von Rallis und Potlis abgedruckt ist, verglichen. Dabei konnte ich mich überzeugen, daß der lateinische Text aus einem griechischen übersetzt ist, der sehr dem im Syntagma veröffentlichten ähnelt. Es gibt allerdings genügend Abweichungen, doch gehen diese zumeist auf Rechnung der unkundigen und schlampigen Abschreiber jenes Textes, der als sehr wichtig galt und daher häufig abgeschrieben wurde. Musakis griechischer Text dürfte dabei — was die Verdrehung von Personen- und Ortsnamen anbelangt — besser sein, als der des Syntagma. Die wesentlichsten Unterschiede zwischen dem griechischen und dem lateinischen Text finden sich in der Beschreibung des Wappens des Kirchenfürsten von Justiniana Prima und in der Deutung seiner Symbolik.

Auch in diesen Fälschungen sind, ebenso wie bei Graf Georg Branković, die einzelnen erwähnten Gebiete mit den klassischen Bezeichnungen angeführt, allerdings nicht mit denselben. Dem Grafen kam es dabei hauptsächlich auf Illyrien an, während dem Falsifikator der sich auf Ohrid beziehenden Fälschung Moesien, Dardanien, Dazien usw. wichtiger waren. Dem Fälscher war auch die Existenz zweier römischer Reiche, eines östlichen und eines westlichen, bekannt. Daher betont er, um die Macht und das Ansehen des. Erzbischofs der angeblichen Justiniana Prima zu heben, daß der römische Kaiser ihn als „princeps sacri nostri utriusque Romani imperii" anerkannt habe.

Dem gelehrten und politisch genügend versierten Grafen war es gut bekannt, daß es im Westen in der Tat Hierarchen mit ausgedehnten weltlichen Rechten gab, die sie noch zu erweitern strebten. Es war ihm auch nicht unbekannt, daß diese Kirchenfürsten ihre Rechte aus alten Privilegien oder Schenkungen herleiteten, die ein um so höheres Ansehen hatten, je älter sie angeblich waren. Er zog auch in ausgedehntem Maße die protestantische Geschichtsschreibung heran und konnte daher aus ihr ersehen, wie man in protestantischen Kreisen über die weltliche Macht des Papstes und deren Grundlagen dachte. Er konnte es, allein die Begründung aller seiner Ansprüche auf die Herkunft von der Dynastie Branković und auf das serbische Despotat, dessen Herrscher er werden wollte, beruhte auf jenen angeblich schriftlichen Dokumenten, denen er ein möglichst hohes Alter verleihen wollte. Daher verlegte er die Entstehung des serbischen Despotats vom späten Mittelalter in die Zeit Kaiser Justinians I. und leitete aus den angeblichen Privilegien dieses Kaisers für das Erzbistum von Peć, das er für Justiniana Prima hielt, die Legitimität des serbischen Despotats und seiner Rechte für ewige Zeiten ab.





In: Südost-Forschungen XXII (1963) 312-325.