Rajić’ Kroatische Geschichte

von Nikola Radojčić



Auszug aus der im „Rad JAZU", Bd. 222, S. 73—113 veröffentlichten Abhandlung.

Als der begeisterte illyrische Patriot Ivan Švear seine Geschichte, „Ogledalo Iliriuma (Ilirie)", verfaßte, war er der festen Überzeugung, daß er die erste kroatische Geschichte in nationaler Sprache schreibe (IV, 1842, 543). Mit Unrecht. Es bestanden bereits derartige Geschichten, allerdings bestimmt für solche, die keine gelehrten Sprachen kannten: Vramec' Chronik vom Jahre 1578 (vgl. Bull. int. III, S. 90—94), Vitezović' Chronik vom J. 1696 und Kačic' Prosaauszug, meist aus Orbini, in seinem Werke „Razgovor ugodni" vom J. 1756. Švear kannte sie zweifellos, aber sie konnten ihn mit Recht nicht befriedigen, da sie nicht geeignet waren, patriotische Gefühle zu entfachen. Sie waren primitiv und für ungebildete Leute geschrieben. Unbekannt jedoch war Švear Rajić' kroatische Geschichte in dessen großer „Geschichte verschiedener slavischer Völker, besonders der Bulgaren, Kroaten und Serben" (1—IV, 1794—5). Die Geschichte der Kroaten ist hier als Teil der slavischen und süd-slavischen Geschichte verfaßt und von patriotischem Geiste erfüllt wie Švears Werk selbst. Der Sprache wegen, die eine Mischung des Russischen und Slavoserbischen ist, war sie jedoch den Kroaten schwer zugänglich.
Jovan Rajić (1726—1801) bildete sich nicht zum Historiker, sondern zum Theologen aus. Nach eifrigem Studium in Karlovci (Karlowitz), Komoran (Komarno) und Sopron (Ödenburg) ging er daher an die geistliche Akademie nach Kijev, die damals die berühmteste orthodoxe theologische Schule war. In Rußland kam Rajić bald unter den Einfluß des bedeutenden russischen Theologen und Aufklärers Teofan Prokopovič, dessen zahlreiche Werke er fleißig und mit Erfolg abschrieb und übersetzte. Geschichte betrieb er in Kijev nicht viel, da damals das geschichtliche Studium in Rußland sehr darniederlag (in der Abhandlung wird dies dokumentarisch nachgewiesen). Als er aber im J. 1757 mit sehr großem theologischen Wissen in die Heimat zurückkehrte, merkte er bald, daß die Serben historisches und juristisches Wissen viel mehr schätzten als theologisches, da sie es zur Veiteidigung ihrer privilegierten Stellung in Ungarn brauchten. Enttäuscht, aber erfüllt von dem Wunsche nach wissenschaftlichem Ruhme, kehrte Rajić bald nach Rußland zurück, um sich historisches Wissen zu erwerben. Auf dem Wege nach Rußland oder nach seiner plötzlichen Rückkehr besuchte er den bekannten slavischen und ungarischen Historiker und Patrioten Johann Tomka Szászky, der schon im J. 1728 den Plan zu einer serbischen Geschichte in lateinischer Sprache gefaßt hatte, die dann 1746 Graf Josip Keglević mit einigen Veränderungen unter dem Titel „Illyricum vetus et novum" herausgab.


Da dieses berühmte Werk anonym erschien, wird hier die Autorschaft Szászkys nachgewiesen, u. zw. vor allem mit Hilfe einer wichtigen Aufzeichnung des Metropoliten Stratimirović. Szászky konnte Rajić sehr bedeutende Informationen über Quellen und Literatur zur serbischen Geschichte geben, aber in Rußland war es unmöglich irgend etwas davon zu finden. Daher begab sich Rajić bald nach dem Mons Athos, wo er die meisten Quellen zur serbischen Geschichte erhoffen konnte. In Hilandar fand er indessen wenig Entgegenkommen. Nur wenige Quellen ließ man ihn abschreiben. Bei seinem außerordentlichen Fleiß verstand er es dennoch alle Hindernisse zu überwinden und bei seiner Rückkehr nach Karlovci 1758 hatte er bereits eine sichere Grundlage für seine geplante Geschichte. Seine hautsächlichsten Quellen und die wichtigste Literatur fand jedoch Rajić in Karlovci, wo in der dortigen Metropolitanbibliothek auch die großen Chroniken des Grafen Đorde Branković aufbewahrt wurden, die man als ein zwar sehr gelehrtes, aber ziemlich unübersichtliches Werk betrachtete. Rajić lernte durch diese Chronik viele Quellen und Behelfe zur serbischen Geschichte kennen Cfr. , doch in Anbetracht des großen Umfangs seines Werkes hat er eigentlich verhätnismäßig wenig Quellen und Literatur gesammelt, namentlich fremde. Dies hat seinen Grund in der schlechten Meinung, die er von fremden Schriftstellern hatte, die über die Serben schrieben; dasselbe Verhältnis zu fremden Historikern besteht auch bei Juraj Križanić und Pavao Ritter-Vitezović. Es ist sehr schade, daß Rajić im ersten Bande seiner Geschichte, der die allgemeine slavische und die bulgarische Geschichte umfaßt, nur wenig fremde Literatur benützt hat. Er war daher schon veraltet, als er 1794 erschien. Der zweite Band beginnt mit der kroatischen Geschichte (drittes Buch). Rajić teilt sie in sechs Kapitel: 1. Über das alte Illyricum. 2. Über Dalmatien und dessen Teile. 3. Über die alten Sitze der Kroaten und ihre Bezeichnungen. 4. Über die einheimischen kroatischen Könige. 5. Über die fremden kroatischen Könige. 6. Über den jetzigen Zustand Illyricums. Die Einteilung ist hauptsächlich aus dem Werke „Iliyricum vetus et novum" übernommen und Rajić hat gut daran getan, daß er sich nicht nur in der Einteilung, sondern auch in der Bearbeitung an dieses bedeutende Werk gehalten hat. Vielfach gefehlt hat er jedoch, wo er sich an die deutsche Übersetzung der bekannten kleinen Schrift: Freschot Casimir, Des Königreichs Dalmatien historische und geographische Vorstellung... (1688) hielt; zu Beginn seiner Studien hat er diese zum großen Teile übersetzt. Rajić' Arbeitsmethode war höchst einfach: er exzerpierte hauptsächlich Szászky und Freschot, und wo es ihm wichtig erschien, fügte er seine Übersetzungen jener Quellen ein, die er in seinen Vorlagen nur erwähnt fand. In der Abhandlung wird genau nachgewiesen, woher Rajić die einzelnen Teile seiner kroatischen Geschichte genommen, wie er sie erweitert und geändert hat.
Rajić' kroatische Geschichte ist von aufrichtigem patriotischen Empfinden erfüllt. Vor konfessioneller Engherzigkeit hütete er sich sehr. In der Frage der. Taufe der Kroaten war er voll Takt, wünschte aber natürlich doch zu beweisen, daß die Kroaten das Christentum von Osten empfangen hätten. Nachrichten in den Quellen, die für die Kroaten ungünstig waren, wollte er nicht übersetzen. Besondere Aufmerksamkeit widmete er der Geschichte der Kroaten nach deren Wanderung nach Süden und zur Zeit der nationalen Dynastie (3. und 4. Kapitel); Mißverständnissen entging er natürlich nicht, sie werden in der Abhandlung der Reihe nach angeführt. Hinsichtlich der Bestimmung der kroatischen Nationalität ist er ganz modern, denn er betrachtet die Sprache als das wichtigste Charakteristikum der Nationalität. Mit der Etymologie des Namens „Hrvat" (Kroate) mühte er sich viel ab und begnügte sich schließlich damit, die fremden Meinungen der Reihe nach anzuführen. Bei der Anführung der Herrscher aus der nationalen Dynastie ließ er sich durch Freschot verführen. Aus seiner seelischen Reserviertheit trat er nur einmal heraus, nämlich bei der Schilderung des Charakters des Königs Zvonimir. Nach Freschot und Szászky glaubte er von ihm, daß er allzu ruhmsüchtig gewesen sei und dadurch den Kroaten großes Unglück verursacht hätte. Über das Ende der nationalen Dynastie schreibt er mit aufrichtigem und tiefem Schmerz. Bezüglich der ungarisch-kroatischen Beziehungen im J. 1102 bringt er nur die Meinung anderer mit der Bemerkung, daß ihm die Auffassung des Archidiakons Toma am richtigsten erscheine; dessen Haß gegen die Kroaten war ihm nicht bekannt.
Rajić hatte ursprünglich die Absicht, in seiner kroatischen Geschichte nur eine Beschreibung der Könige „siavischen Blutes" zu geben, doch später überlegte er es sich und gab wenigstens eine summarische Übersicht der kroatischen Geschichte unter fremden Herrschern. Dabei hielt er sich hauptsächlich an Szászky und Bakschay, wobei ihm jedoch unangenehme Mißverständnisse unterliefen, denn er hatte kein Verständnis für den westlichen Feudalismus und konnte sich nicht in das Wesen der Beziehungen der Kroaten zu den Ungarn und der Dynastie hineinfinden ; Beispiele derartiger Mißverständnisse werden in der Abhandlung angeführt. Eine hohe Achtung hatte er vor der Tapferkeit der Kroaten und noch mehr vor deren Streben nach Bildung. Ganz erfüllt von den Ideen der Aufklärung begeisterte sich Rajić an der Liebe der Kroaten für die Wissenschaft, dem höchsten Gute der Welt. Das Hauptziel seiner kroatischen Geschichte war, die Einheit' der Kroaten mit den übrigen Südslaven zu beweisen und ihr Bildungsstreben zu verherrlichen, als Muster für deren unglückliche Brüder, Bulgaren und Serben, die damais zum größten Teile noch unter dem barbarischen Joche der Türken standen. Damit hatte er vollen Erfolg. Seine kroatische Geschichte ist tatsächlich südslavisch empfunden und die Anfänge der Aufklärung bei den Kroaten sind geschickt als Wegweiser für die übrigen Südslaven in ihrem Streben nach iRajić' höchstem Ideal — christlicher Aufklärung und Humanität — dargestellt und hervorgehoben.




In: Bulletin international de l’Académie Yougoslave des sciences et des beaux-arts de Zagreb ; classes : d' histoire et de philologie ; de philosophie et de droit; des beaux-arts et belles lettres. — Livre 2. (1931) 174-178.